Warum musste Benno sterben?

Warum musste Benno sterben?

 

In den bürgerlichen Medien wird über eine SED-Mitgliedschaft und Stasi-Tätigkeit desjenigen berichtet, der am 2. Juni 1967 den Studenten Benno Ohnesorg erschoss.

Es wird sogar spekuliert, dass dieser Mord im Sinne des DDR-Regimes gestanden habe, um die Bundesrepublik Deutschland zu destabilisieren.

Die politischen Hintergründe jener Zeit werden wohlweislich verschwiegen, weil sie entlarvend für diese Verfälschung der Geschichte der Bundesrepublik in den 60er Jahren sein würden.

Rolf Priemer war seinerzeit verantwortlicher Redakteur des in Dortmund erscheinenden Jugendmagazins Elan. Dort wurde wenige Tage nach der Ermordung Ohnesorgs folgender Artikel im Juli 1967 veröffentlicht.

Bismarckstraße, 19.57 Uhr

Nur für wenige Augenblicke haben die Demonstranten auf der anderen Straßenseite den Schah von Persien und sein Gefolge zu Gesicht bekommen. Barrieren und dichte Ketten von Polizisten, die ihre fangen Gummiknüppel schlagbereit halten.

Die Demonstration gegen den Diktator auf dem Pfauenthron ist im Begriff sich aufzulösen.

20.09 Uhr. Während in der Oper die ersten Takte von Mozarts “Zauberflöte” erklingen, kommt plötzlich das Kommando: “Knüppel frei!” Das Massaker, der “blutige Freitag” von Berlin, beginnt.

“Mädchen bitten: Nicht schlagen”, aber die Polizisten schlagen mit äußerster Kraft, schlagen auf Ohnmächtige, auf Liegende, auf Studenten, die ihren zusammengebrochenen Kommilitonen helfen wollen.” So beschreibt der Augenzeuge des Polizeiterrors, Jürgen Zimmer, in der “Zeit”, wie Westberliner Polizeikommandos mit den Demonstranten “persisch” reden.

Plan “Füchsejagen”

Auf dem Ku-Damm verbreitet derweil ein Lautsprecherwagen der Polizei die Meldung, ein Polizist sei von Demonstranten erstochen worden, obwohl sich selbiger längst zum “Einsatz” zurückgemeldet hat. Mit solchen Zwecklügen wird die Polizei aufgeputscht, die schon am Vormittag vor dem Schöneberger Rathaus eine unrühmliche Rolle gespielt hatte.

Dort durfte sich ein “schahfreundlicher” Perser-Trupp mit bunten Fähnchen und Porträts des Kaisers vor den Absperrungen postieren. Die Polizei bildete Spalier, als sich “dieser Schlagertrupp, zum Teil mit Pistolen und Ausweisen des persischen Geheimdienstes ausgerüstet” (“Zeit”), auf demonstrierende Berliner stürzte und mit Totschlägern, Stahlruten und Holzlatten auf sie einschlug. .

Während vor der Oper uniformierte Polizei die Knüppel schwang, gingen nach den Feststellungen von Rechtsanwalt Mahler “Greifkommandos in Zivil” zum Angriff über, der “Plan Füchsejagen” begann. Zu diesem Zeitpunkt wird deutlich, daß das brutale, unmenschliche Vorgehen der Polizei Bestandteil eines großangelegten Notstandsmanövers ist, für das der Schah-Besuch den willkommenen äußeren Anlaß bietet.

Greiftrupps in Aktion

Denn was jetzt auf der Bismarckstraße passiert und um 20.30 Uhr mit der Erschießung des Studenten Benno Ohnesorg seinen Höhepunkt findet, das ist auf Polizeischulen Pflichtfach im theoretischen Unterricht. So heißt es bezeichnenderweise in einem Notstandsplanspiel von Polizeirat Josef Müller: “Zur Festnahme von Rädelsführern sind Greiftrupps bereitzustellen und durch eine schnell zu bildende Gasse überraschend einzusetzen.” Opfer eines solchen Greiftrupps wurde Benno Ohnesorg. Sein rotes Sporthemd hatte die Aufmerksamkeit der Polizisten auf ihn gelenkt. Der 26jährige Philosophiestudent nahm zum erstenmal in seinem Leben an einer Demonstration teil. Er wollte sich davon überzeugen, ob die Behauptungen von Studienfreunden, die Polizei gehe brutal gegen Studenten vor, auf Tatsachen beruht.

“Bitte nicht schießen!”

Es wurde seine erste und seine letzte Demonstration. Hinterrücks wurde er auf einem Garagenhof, auf den er geflüchtet war. von dem Kriminalbeamten Kurrat niedergeschossen. “Bitte, bitte, nicht schießen!”, – das waren seine letzten Worte. Trotzdem prügelten Polizisten weiter auf den am Boden Liegenden ein.

Ein Journalist zu den Polizisten: Warum holt ihr keinen Krankenwagen? Der Mann stirbt doch.” Zynische Antwort: “Nö, wieso? Das hat Zeit!” Eine Stunde später stirbt Benno im Moabiter Krankenhaus. Eine Kette offizieller Lügen folgt dem Mord. Am Schädel Ohnesorgs wurden Operationen vorgenommen, bei denen der Knochen mit der Einschussstelle der Kugel entfernt wurde. Am Tag darauf war dieser Knochen verschwunden.

Kein Wort des Bedauerns fand Berlins “Regierender” Albertz für die Witwe des Toten. Stattdessen dankte er der Polizei für die “geübte Zurückhaltung” und ließ ein generelles Demonstrationsverbot über die Stadt verhängen.

In allen Teilen der Bundesrepublik dagegen und über die Grenzen hinaus löste der Tod des Studenten Ohnesorg Entsetzen, Trauer und Empörung aus.

Noch bei der Beerdigung sagt seine Schulfreundin Heide Finke: “… Ich kann es nicht fassen!” Zusammen sind sie am Alveser Weg in Hannover-Stöcken groß geworden. Sie waren Nachbarskinder.

Alveser Weg 3

“Sein ganzes Leben lang hat sich Benno ungeheuer bemüht, vorwärts zu kommen. Er hatte Dekorateur gelernt. Dann verdiente er sich das Geld, um über den zweiten Bildungsweg das Abitur nachzuholen. Er wellte studieren.”

Sie kennt Benno so, wie ihn seine guten Freunde kennen: Als einen hilfsbereiten, fleißigen Jungen, der weder Zeit noch Geld hatte, “Semester um Semester randalierend auf dem Ku-Damm zu verbummeln”. (Frankfurter Neue Presse)

Gemeinsam mit Freunden waren sie in England: ein etwas unterbelichtetes Foto erinnert an diese glücklichen Tage.

“Benno”, sagt Heide Finke, “war ein Grübler. Bevor er etwas sagte oder tat, informierte er sich gründlich. Ich habe immer daran geglaubt, daß aus Benno einmal etwas Besonderes wird. Aber daß er so Berühmtheit erlangen würde”

Zwei kriegsstarke Divisionen

Der Todesschuss. der eine junge Frau zur Witwe machte und ein ungeborenes Kind zur Waise, er war der Höhepunkt einer neuntägigen Notstandsprobe, für die 30000 Polizisten. zwei kriegsstarke Divisionen, aufgeboten wurden.

“Die Polizei scheint gewillt, mit dem Schah den Notstand zu üben”, notierte selbst die bürgerliche “Augsburger Allgemeine”;

die “Süddeutsche Zeitung” schrieb: “Die Majestäten durchreisten einen eigens für sie eingerichteten Polizeistaat”. Und der Marburger Professor Wolfgang Abendroth sprach auf der hannoverschen Podiumsdiskussion, die nach der Beerdigung Ohnesorgs stattfand, offen aus: “An den Westberlinern ist der Notstand probiert worden. Hier wurde vorweggenommen, was uns allen droht. wenn die große Koalition in Bonn die Notstandsverfassung in Kraft setzt Was würden die Leute, die ihre Sporen im Dritten Reich verdient haben, mit dieser Notstandsverfassung anfangen?”

Fallex 67

Jedoch: Die “Probe auf den Notstandsfall” beschränkte sieh nicht nur auf Westberlin. Ohne Rücksicht auf die Bevölkerung wurden während der Feierabendzeit Autobahnen gesperrt, und Rollkommandos der Polizei verwehrten selbst Minister Wischnewski die Zufahrt zur Autobahn. Das mußte Erinnerungen wecken an das Notstandsmanöver Fallex 66, in dessen Verlauf laut Bericht der “süddeutschen Zeitung” Autobahnen von der Bundeswehr “freigeschossen” wurden.

In Köln verbot die Polizei den Anwohnern der “Jubelstraßen”, während der Vorbeifahrt des Schah die Fenster zu öffnen, in etlichen Städten wurden persische Studenten und Ärzte “vorsorglich festgenommen” oder aus der Stadt gewiesen.

Auch in Hamburg und München gab es furchtbare Prügelszenen, Verhaftungen. In der bajuwarischen Landeshauptstadt setzte die Polizei Hubschrauber ein, deren Motorengeheul die Sprechchöre der Demonstranten übertönen sollte”

Und dass es sich bei den Vorfällen in Berlin und anderswo nicht um “Betriebsunfälle” handelte, sondern dass eine “große Regie” im Spiele war, das offenbarte ein Bericht im “Hamburger Abendblatt” vom 5. 6. 1967. Darin wird der folgende Funkspruch zitiert: “Eine bestimmte Person, Nr. 14 einer gewissen Liste, verteilt Handzettel mit dem Ruf: ´Nieder mit dem Schah´!” Her wurde offenbar. daß in den entsprechenden Führungsstäben “Schwarze Listen” von Oppositionellen und Demokraten existieren -. daß die detaillierten Notstandspianungen sehr viel weiter gediehen sind, als sich mancher träumen ließ.

Springer hetzt Polizei schießt

Und bei der “Aktion Schah” wurde so gehandelt, als seien die Notstandsverfassung und die anderen geplanten NS-Gesetze bereits in Kraft. Der Polizeiterror dieser Tage gegen bestimmte Gruppen unserer Bevölkerung ist dem in solchen faschistischen Diktaturen wie Griechenland, Spanien und Persien ebenbürtig. Zu Recht erklärte Professor Habermas: “Das war ein Schritt zum Polizeistaat!”

In diesem Notstandsplanspiel übernahm ein Teil der Presse die Rolle des regierungstreuen Einpeitschers, und nicht zufällig sprach Prof. Abendroth in Hannover davon, daß durch eine Pressekampagne die Polizei auf Linke, auf Demokraten “scharfgemacht” worden sei.

Diffamierte die “Frankfurter Neue Presse” die Studenten als “akademisch getarnte Terroristen”. die ..Semester um Semester randalierend auf dem Ku-Damm verbummeln”, (5.6.67). Ins gleiche Horn stieß die “FAZ” mit der Verleumdung, die Studenten verwandelten Berlin in ein zweites Saigon.

Führend in der Pogromhetze gegen die demokratischen Aktionen der jungen Arbeiter und Studenten waren die Zeitungen des allmächtigen Springerkonzerns; sieben von zehn Westberliner verkauften Zeitungen kommen übrigens aus dem Hause des Presse-Cäsar.

Wer sind die Schuldigen?

Ausgerechnet den geprügelten und geschundenen Demonstranten unterstellte “BILD” am Tage nach dem Tode Benno Ohnesorgs “SA-Methoden”. Mit Bezeichnungen wie “wildgewordene Kaffer” und der “BILD”-Schlagzeile: “Studenten drohen: Wir schießen zurück!”. Unterzeile: “Weiche Polizeiweile”, versuchten Springers Revolverblätter. die Bevölkerung gegen die Studenten aufzuputschen. Hier ging es nicht nur darum, der prügelnden und schießenden Polizei ein Alibi zu verschaffen, hier ging es um die psychologische Vorbereitung der Öffentlichkeit auf jene Notstandsgesetze, die in Kürze im Bundestag zur Diskussion stehen werden.

“Springer hetzt – die Polizei schießt”, mit diesem Plakat demonstrierten nach dem Ohnesorg-Mord Studenten In Berlin. Ihr Protest und der zahlreicher Jugendverbände galt dem Polizeiterror ebenso wie der Gängelung und Manipulierung der öffentlichen Meinung durch die Zeitungen des Springer-Konzerns, die ihre Leser sowohl über die Ziele der Demonstranten als auch über die wirklichen Vorgänge in den “Frontstädten” der Schahroute bewußt einseitig und falsch informierten.

Damals in Essen

Benno Ohnesorg mußte sterben, weil die Einpeitscher der Notstandsgesetze den persischen Staatsbesuch als Stichwort für eine Fallex-67-Übung nutzten und aus diesem Grunde die Verfassung zeitweise außer Kraft. setzten. Er ist nicht der erste Junge Deutsche, der unter Polizei kugeln sein Leben lassen mußte.

Am 11. Mai 1952 wurde in Essen bei einer großen Demonstration gegen die Remilitarisierung Westdeutschlands der FDJler Philipp Müller erschossen. Er hatte – wie Benno Ohnesorg – von seinem Grundrecht auf freie Meinungsäußerung Gebrauch gemacht Die Parallele liegt auf der Hand:

Gestern schoß man auf FDJler und verbot FDJ und KPD. Heute schießt man auf Studenten. Kaltschnäuzig fordert man das Verbot des SDS, durchschnüffelt seine Büros in Berlin und München und beschlagnahmt Organisationsmaterialien; unter der Westberliner Rufnummer des SDS meidet sich zeitweise bereits die Politische Polizei.

Auf wen wird man morgen schießen? Wen wird man morgen verbieten wollen? Wer. es genau wissen will, der sehe sich die angeblich “entschärften” Notstandsgesetzentwürfe der Bundesregierung an. Der lese nach, was Hans Günter Wallraff über die geheimen Notstandsvorbereitungen der Großindustrie In Schwerpunktbetrieben enthüllt hat.

Wer wissen will, wohin die Reise laut Bonner Notstandsfahrplan gehen soll der erinnere sich an die mehrfach geprobten Antistreik-Einsätze von Bundeswehr und Bereitschaftspolizei!

Auf wen wird morgen geschossen?

Der Tod Benno Ohnesorgs war ein Alarmsignal für alle Demokraten. Das zeigten die großen, spontanen Demonstrationen in vielen Städten der Bundesrepublik und in Westberlin. “Heute Terror gegen Studenten – morgen gegen Arbeiter!”, “Benno Ohnesorg erstes Opfer der Notstandsdemokratie” – unter diesen Losungen demonstrierten Studenten In Mannheim. “Heute ein demonstrierender Student – morgen em streikender Arbeiter?”, lautete eine Losung im Zug von 2 500 Düsseldorfer Jugendlichen und Studenten.

In Frankfurt riefen alle Jugend- und Studentenverbände sowie 31 Gewerkschaftssekretäre zum Trauer- und Protestmarsch. Mehr als 8 000 kamen und forderten: “Nie wieder Polizeistaat”, “Entmachtung von Springer”!

In der Stunde der Gefahr für die Demokratie wuchs das Bündnis zwischen Arbeiterjugend und Studenten. Und ihre Bereitschaft, den gemeinsamen Kampf zu verstärken, um die Notstandsgesetze zu verhindern. Darauf zielten die Worte Prof. Abendroths, der in Hannover den Studenten zurief: “Mögen Ihre Aktionen und Ihre Verbundenheit mit den Arbeitern eine große Zahl von Abgeordneten des Bundestages doch noch zum Widerstand anregen…”

Zeit der Gemeinsamkeit

Denn: “Die Kraft, die Dinge zu verändern und die Demokratie zu retten ist unter den Millionen Arbeitern zu suchen. Mit dieser Kraft müssen wir uns zusammenschließen, um uns vor dem Unheil zu bewahren und um die Schäden der Vergangenheit zu beseitigen.” Es gilt jetzt, die in der Stunde der Trauer und der Empörung geborene Gemeinsamkeit auszubauen und gemeinsam zu kämpfen gegen das CDU-Konzept einer formierten Notstandsgesellschaft.

Deshalb verdienen die Forderungen der Studenten nach dem Rücktritt der verantwortlichen Politiker wie Albertz, Büsch und Duensing, nach strenger Untersuchung und Bestrafung der Schuldigen unsere volle Unterstützung.

Dazu zählt auch die Forderung nach Straffreiheit für alle beteiligten Demonstranten und nach Vernichtung der illegalen Schwarzen Listen, Dazu zählt nicht zuletzt die Forderung nach Wiederherstellung der demokratischen Rechte für alle Bürger unseres Landes, für sozialistische Studenten ebenso wie für die Kommunisten.

Es gilt, den Kampf um die Demokratie, gegen die NS-Gesetze bedeutend zu verstärken.

Dazu verpflichtet der Tod Benno Ohnesorgs.

 

 

Zitate nach dem 2. Juni 1967 aus der Presse: Hetzjagd à la Springer

“Studenten drohen: Wir schießen zurück.” (BILD)

“Eine Straßenschlacht, wie sie Berlin seit Kriegsende nicht mehr gesehen hat, lieferten gestern abend links-radikale Demonstranten anläßlich des Schahbesuchs der Polizei…” (BZ, 3.6.)

“Die Polizei trägt keine Schuld an den Zusammenstößen, die eindeutig von unseren Krawall-Radikalen provoziert wurden. Die Polizei tat ihre schwere Pflicht.” (Morgenpost, 4.6.)

“Das Maß ist nun voll. Die Geduld der Berliner Bevölkerung ist erschöpft. Wir sind es endgültig leid, uns von einer halberwachsenen Minderheit. die noch meist Gastrecht bei uns genießt, terrorisieren zu lassen. (Morgenpost, 4.6.)

“Berlin hatte bisher den Ruf einer fleißigen, arbeitsamen Stadt. … Eine Minderheit ist auf dem Wege, diesen Ruf zu zerstören. … Junge Menschen, die bislang nicht am Aufbau dieser Stadt teilgenommen haben. … Die Anständigen in dieser Stadt aber sind jene Massen der Berliner, die Berlin aufgebaut und Berlins Wirtschaft angekurbelt haben. Ihnen gehört die Stadt. Ihnen ganz allein! (BZ, 3.6.)

“Was Ulbricht nützt: Das Vorhandensein zahlenmäßig zwar kleiner, aber um so lautstärkerer Gruppen bei uns, die bereit sind, wesentliche Positionen ohne jede Gegenleistung aufzugeben.” (BZ, 16. 5.)

“Die Polizei ging mit Gummiknüppeln gegen die Demonstranten vor. Daraufhin griffen die Halbstarken die Polizisten an, mit Steinen. Ein junger Mann wurde schwer verletzt. Er starb nach der Einlieferung ins Krankenhaus.” (BILD)

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