Kapitalismus und Krieg

Kapitalismus und Krieg

Auszug aus dem Referat von Leo Mayer auf der Konferenz “Kapitalismus, Krise und Krieg” am 14. März in München

 

In den Staaten der transatlantischen Gemeinschaft, d. h. in den Mitgliedsländern der Nato und/oder der EU-Staaten leben nur 13 Prozent der Weltbevölkerung. Aber diese Länder vereinigen 63 Prozent des Weltsozialprodukts und über 77 Prozent der weltweiten Rüstungsausgaben auf sich. Sie verbrauchen die Hälfte der weltweiten Ölförderung. Allein die USA zählen für 29 Prozent des Weltsozialprodukts; sie verbrauchen 26 Prozent des global geförderten Öls; der Rüstungsetat des Pentagon ist Jahr für Jahr ungefähr zehnmal so hoch wie derjenige von Frankreich, Deutschland und Großbritannien zusammen.

Die heutige, kapitalistische Produktionsweise schließt aus, dass die Mehrheit der Weltbevölkerung an der Nutzung der Naturressourcen gleichberechtigt beteiligt wird.

China, Indien und die Schwellen- und Entwicklungsländer insgesamt benötigen diese Ressourcen ebenfalls für ihre Entwicklung. Die kapitalistischen Zentren müssen den Zugriff dieser Länder aber begrenzen. Sie können nicht zulassen, dass die nachholenden Länder und die Mehrheit der Weltbevölkerung die begrenzten Ressourcen auf die gleiche Weise nutzen: Das geht nur durch politischen, wirtschaftlichen und letztendlich militärischen Druck; d. h. durch Krieg.

Die militärische Komponente in der Politik der kapitalistischen Zentren – insbesondere der USA – muss sich systematisch verstärken.

Die Monopolisierung des Zugriffs auf die Energieressourcen und die Sicherung der Transportwege wird zur Überlebensfrage. Deshalb drängen die imperialistischen Staaten unter Führung durch die USA danach, das Kaspische Becken mit seinen gewaltigen Gas- und Ölvorräten, den Mittleren Osten und die dazugehörigen Transportwege unter ihre Kontrolle zu bringen.

Afrikas Bedeutung für den globalen Kapitalismus wächst wegen der Ölreserven und anderer seltener Rohstoffe sowie zur Sicherung der Transportrouten.

Ein neuer Kolonialismus wird errichtet, um Ressourcen und Transportwege direkt zu kontrollieren.

Globale Machtverhältnisse

Die Vorherrschaft der USA hing in der Vergangenheit entscheidend davon ab, dass sie sich und ihre Verbündeten mit billigem Öl und mit einem sicheren Zahlungsmittel versorgen und private Eigentumsrechte in der ganzen Welt durchsetzen konnten.

In den zurückliegenden Jahren haben einige Entwicklungs- und Schwellenländer – vor allem die BRIC-Länder Brasilien, Russland, Indien, China – Exportüberschüsse erzielt, Devisenreserven ansammelt, und ihre Position im Machtgefüge des globalen Kapitalismus ausbauen können.

In der Studie “Global Trend 2025” sagt das National Intelligence Council, das Zentrum der US-Geheimdienste für strategische Prognosen, voraus: “Der wirtschaftliche und politische Einfluss der USA wird in den kommenden zwei Jahrzehnten sinken. Es wird mehr Unruhen auf der Welt geben, Nahrungsmittel und Wasser werden knapper, Waffen immer zahlreicher … China wird die Welt im Laufe der nächsten 20 Jahre voraussichtlich stärker als jedes andere Land beeinflussen.” (Spiegel online, 20.11.2008, siehe Blätter für deutsche und internationale Politik, 1/2009) So dürften die Fragen des Verhältnisses Chinas zur ökonomischen und politischen Supermacht USA entscheidend werden: des Verhältnisses des weltgrößten Gläubigers zum größten Schuldner der Welt: “Jeder Amerikaner schuldet China inzwischen 4000 Dollar” (Die Zeit, 19.2.09).

Der Grat zwischen Einbeziehung Chinas in die westlich dominierten Global-Institutionen (G-7, G-20, IWF) und politisch-ökonomischer oder gar militärischer Konfrontation ist sehr schmal. Es stellen sich auch die Fragen: Ist China dauerhaft bereit, die US-Schuldenwirtschaft zu finanzieren? Vor allem wenn diese Verschuldung zu einem Schwarzen Loch wird und Gefahren des Dollarverfalls und Hyperinflation drohen? Was passiert, wenn die USA über Dollar-Abwertung sich eines Teils ihrer Schulden entledigen und ihre Finanzverluste externalisieren?

Dann drohen Abwertungswettlauf, Handelsdikriminierungen und auch politische Auseinandersetzungen. “Absteiger können sehr unangenehm werden, wenn sie keinen Ausweg mehr sehen”, schreibt Die Zeit (19.2.2009). Vor allem wenn sie über das militärische Machtpotenzial wie die USA verfügen und in ihrem “No-Rivals-Plan” festgeschrieben haben, dass sie künftig – nach dem Fall der Sowjetunion – einen Konkurrenten strategischer Dimension nicht mehr dulden werden.

Krise als Gefahr für die internationale Sicherheit

Dennis Blair (Ex-Admiral), der nationale Direktor der US-Geheimdienste, hat kürzlich erklärt, dass die größte Gefahr für die internationale und US-Sicherheit nicht vom Terrorismus ausgeht, sondern von der globalen Wirtschaftskrise. Sie führe in Ländern, wo schwache staatliche Institutionen mit wachsender Armut und Perspektivlosigkeit der Bevölkerungen zusammen treffe, zu sozialen Unruhen, ethnischen Konflikten und möglicherweise Kriegen. Die USA müssten ihr Augenmerk in dieser Richtung schärfen. Und in der Tat: Im Frühjahr 2008 brachen Hungerrevolten in Haiti, Kamerun, Ägypten, Äthiopien, Indien, Indonesien und Senegal aus.

In Haiti wurde die Regierung zum Rücktritt gezwungen. Im Dezember 2008 wurde Griechenland von wochenlangen Revolten erfasst. Die Unruhen waren verursacht durch die Zukunfts- und Perspektivlosigkeit für die Jugend. Im Januar 2009 kam es zu Massenstreiks, Massendemonstrationen, Revolten und Straßenschlachten in Island, Lettland, Litauen, Bulgarien, Griechenland, Irland und Italien. Die lettische und die isländische Regierung mussten zurücktreten.

Wenn sich die Prognosen von UNCTAD, IWF und Weltbank erfüllen – und wenig spricht dagegen; im Gegenteil: die Prognosen werden von Monat zu Monat düsterer – dann waren diese Unruhen nur der Auftakt.

Dazu kommt, dass sich vor allem in Südamerika ganze Bevölkerungsmehrheiten und Regierungen vom Neoliberalismus losgesagt haben und nach neuen Wegen einer selbstständigen Entwicklung suchen. Das Gewicht Chinas erhöht sich in der Weltwirtschaft und in der Weltpolitik. In diesen Zusammenhängen wird dann auch verständlich, wieso die Finanzkrise zu einem Thema der Sicherheit und der Nato wird. Sowohl nach innen, wie nach außen: Denn die Nato war immer auch das Instrument, mit dem gesellschaftliche Umwälzungen in den Mitgliedsländern verhindert werden sollten. In Erinnerung ist, dass in den westeuropäischen Nato-Ländern Geheim- und Terrororganisationen, wie “Gladio” in Italien, zum Kampf gegen den Kommunismus aufgebaut wurden.

In dieser Hinsicht wird mit der Nato-Osterweiterung sowohl der Einfluss der USA in Europa wie auch die gemeinsame kapitalistische Landnahme nach Osten gegen Innen abgesichert.

Kriege zur Verteidigung des Wohlstandes

In brutaler Offenheit wurde bereits vor einigen Jahren in der Zeitschrift der Bundeswehr “Truppenpraxis/Wehrausbildung” formuliert: “Die globale Konzentration des Wohlstands hat sich in den letzten Jahren wieder verstärkt, nachdem er etwa hundert Jahre etwas gleichmäßiger verteilt worden war. Die westlichen Länder und einige besonders anpassungsfähige Länder im Fernen Osten befinden sich in einem Zyklus der Wohlstandsmehrung, dessen Ende sich trotz gelegentlicher Handelskonflikte und Rezessionen nicht vorhersagen lässt. Die Besonderheiten des Wettbewerbs in der heutigen Zeit bringen es aber mit sich, dass in diesem Klub nicht mehr viele neue Mitglieder aufgenommen werden können …

Diese Entwicklung könnte zur Entstehung eines Proletariats führen, das auf Dauer vom Fortschritt ausgeschlossen ist. Staaten, Völker und ganze Kontinente außerhalb des Westens würden dazu verurteilt sein, in ständiger Armut zu leben … Hoffnungen auf eine bessere Zukunft hat die Wut über die ungerechte Verteilung des Wohlstands lange gedämpft. Die Gegensätze zwischen arm und reich werden jedoch immer größer. Noch lassen die kurz Gekommenen ihre dumpfe Wut nur an den am nächsten gelegenen Zielen aus – an rivalisierenden Clans oder Stämmen, Angehörigen einer religiösen oder ethnischen Minderheit oder ihrer eigenen schwachen Regierung”. (Die neue Herausforderung – Das Wesen künftiger Konflikte. In: “Truppenpraxis/Wehrausbildung”. Nr. 2 + 3/96)

Aber das könne sich ja ändern. Deshalb die krisen- und kriegsszenarische Schlussfolgerung: “Die großen Kriege des 20. Jahrhunderts fanden zwischen wohlhabenden Staaten statt. Im nächsten Jahrhundert werden die jetzt in Frieden miteinander lebenden wohlhabenden Staaten gegen die Völker der armen Staaten und Regionen ihren Wohlstand verteidigen müssen”.

“Verteidigung des Wohlstands” und Aufrechterhaltung der Produktionsweise des globalisierten Kapitalismus erfordern einen ungehemmten und weitgehend exklusiven Zugriff der G-7-Staaten und ihrer Multis zu den begrenzten Ressourcen der Erde. Die Strategie und militärische Ausrüstung der Nato und ihrer Mitgliedsländer wie auch der EU wurden und werden diesen Herausforderungen angepasst; Ausrüstung für schnelle Eingreiftruppen und Kampfeinsätze in fernen Ländern sowie Strategien zur Aufstandsbekämpfung erhalten Priorität.

Die Konrad Adenauer Stiftung bringt es auf den Punkt: “Im weitesten Sinne ist die Nato heute die Schutzmacht der Globalisierung.” (Nato Defense College, Research Paper No. 43, Nov. 2008, nach Friedensforum 1/2009, S. 24)

Mit der gegenwärtigen und noch länger anhaltende Krise des Kapitalismus

  • werden die Grenzen der kapitalistischen Produktionsweise und die Möglichkeiten ihrer Überwindung sichtbar;
  • gleichzeitig wächst die Gefahr noch schlimmerer finanzieller, wirtschaftlicher, sozialer und ökologischer Krisen;
  • zugleich verstärken sich die autoritären, militaristischen Tendenzen und die Bereitschaft zum Krieg.

 

 

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