Imperialismus heute – Neue Entwicklungen und Tendenzen

“Imperialismus heute – Neue Entwicklungen und Tendenzen”

 

Grundvoraussetzung für das Wirken einer kommunistischen Partei wie der DKP ist die Analyse der konkreten gesellschaftlichen Bedingungen. Der Imperialismus in seiner gegenwärtigen Entwicklung ist zu untersuchen, Tendenzen sind zu erkennen und daraus sind Folgerungen für das eigene Handeln, für die Aktionseinheits- und Bündnispolitik abzuleiten.

Dabei stellt sich die Frage, ob wir in diesem Zusammenhang mit den durch Marx, Engels, Lenin und anderen marxistischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern in der Vergangenheit erarbeiteten theoretischen Grundlagen bereits über ein ausreichendes methodisches wie begriffliches Instrumentarium verfügen, um das Wesen des Imperialismus heute und seine mögliche künftige Entwicklung hinlänglich erfassen zu können.

Um dies festzustellen, muß man sich dieses grundlegenden Fundaments versichern, um auf dieser Basis die Frage nach neuen Erscheinungen in der Entwicklung der kapitalistischen Gesellschaft am Ende des 20. Jahrhunderts zu stellen, die uns – theoretisch hinsichtlich der Weiterentwicklung der Imperialismustheorie ebenso wie im praktischen Handeln – herausfordern.

Ausgangspunkt des Bildungsthemas sollte deshalb die Diskussion grundlegender marxistischer Erkenntnisse, vor allem der Leninschen Imperialismustheorie sein. Wir schlagen weiter vor, auf dieser theoretischen Basis die Frage zu diskutieren, ob es eine neue Qualität in der Entwicklung des Imperialismus in unserer Zeit gibt. Deutlich wird dabei unseres Erachtens u. a., welche tiefgreifenden Veränderungsprozesse im Gefolge der Revolutionierung der Produktivkräfte (wissenschaftlich-technische Revolution) in Basis und Überbau der kapitalistischen Gesellschaft vor sich gehen: in der Produktion, in Transport, Verteilung, Kommunikation, im alltäglichen Leben der Menschen usw. Deutlich wird aber auch, daß die vor sich gehenden Veränderungen sich darauf natürlich nicht reduzieren lassen.

Wir schlagen vor, folgende Fragen im Zusammenhang mit dem Bildungsthema “Imperialismus heute – Neue Entwicklungen und Tendenzen” zu diskutieren:

  • Unter welchen historischen Bedingungen der Entwicklung des Kapitalismus erfolgte die Leninsche Imperialismusanalyse?
  • Wie charakterisierte Lenin den sich am Anfang des 20. Jahrhunderts herausbildenden Imperialismus? Durch welche wesentlichen Widersprüche war dieses Entwicklungsstadium des Kapitalismus gekennzeichnet?
  • Gibt es eine neue Qualität in der Entwicklung des Imperialismus in unserer Zeit? Durch welche Bedingungen, Strukturen und Prozesse ist diese neue Qualität bestimmt?
  • Welche Folgerungen ergeben sich daraus für das praktische Handeln von Kommunisten?

 

Einige Argumente und Denkanstöße soll der folgende Beitrag liefern. Darüber hinaus könnten wir uns vorstellen und halten es für wünschenswert, daß dieser Beitrag auch zu einer Diskussion in der UZ führt. Die vollständige Fassung des Beitrags von Jörg Miehe wird im Reader abgedruckt.

Nina Hager/Jörg Miehe

Literatur:

W. I. Lenin: Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus. In: Lenin Werke (LW). Bd 22. S. 189-356

Zum historischen Hintergrund des klassischen Imperialismus und der Entwicklungen im 20. Jahrhundert: Eric Hobsbawm: Das imperiale Zeitalter 1875-1914. dtv-TB-Verlag. München 1996

Derselbe: Das Zeitalter der Extreme, Weltgeschichte des 20. Jahrhunderts. Hanser. München 1994

Weitere Literaturangaben siehe Reader!
Zu beziehen beim Parteivorstand der DKP, Hoffnungstraße 18, 45127 Essen

 

Globalisierung und Imperialismus

Neue Erscheinungen in der Entwicklung der kapitalistischen Gesellschaftsformation

 

  1. Technisierte Lebensweise, Arbeitslosigkeit und unsichere Perspektiven

    Seit mehreren Jahrzehnten haben sich in der BRD und in den meisten hochindustrialisierten kapitalistischen Ländern für die Lohnabhängigen grundlegende Änderungen ihrer Lebenslage ergeben. Zunehmende Arbeitshetze und Konkurrenz, Arbeiten rund um die Uhr mit vergrößerter und verfeinerter Technik, verringerte Löhne und Unsicherheit des Arbeitsvertrages wie der sozialen Sicherungen, Wachstum von informellen Arbeitsverhältnissen und Dienstbotenjobs und wieder zunehmende Arbeitslosigkeit – und dies bei Zunahme der Produktion gesellschaftlichen Reichtums – sind die neuen, alten Verhältnisse der Lohnarbeit.

    Bis in die mittleren und höheren Entlohnungs- und Qualifikationsstufen hinein besteht die Gefahr der Erwerbslosigkeit. Die Konkurrenz um Ausbildung, Abschlüsse und Berufseinstieg, um Beschäftigung und Aufstieg hat durch die Bedrohung wieder an Schärfe zugenommen, die Perspektiven werden unsicher. Eltern können ihre Kinder nicht mehr ohne Kampf weiterbringen, auch die Lebensplanung wird wieder problematisch. Ein Grundzug des früheren Proletarierdaseins schleicht sich auf neuem Niveau und in vielen Rängen, unter postmoderner Verdrehung als Flexibilität gefeiert, wieder in die Metropolen des Kapitalismus ein.

    Seit 1975 gibt es bei jeder normalen Krise wieder schrumpfende Industrieproduktion, Entlassungen und ein jeweils sprunghaft wachsendes Erwerbslosenheer. Davon bildet sich stufenweise ein größer werdendes stehendes Heer von Arbeitslosen und wieder ein Lumpenproletariat sowie eine Elendsschicht.

    Der Warencharakter der menschlichen Arbeitskraft setzt sich wieder ungebremster durch. Zunehmend werden auch die anderen Lebens- und Gesellschaftsverhältnisse dem Marktverkehr angepaßt und vom Kapital erobert.

    Die industrielle Revolutionierung der Lebensweise vertiefte sich als Prozeß der Technisierung der privaten Reproduktion in den USA schon seit den 20er und in Europa seit den 50er Jahren dieses Jahrhunderts. Obwohl das Realeinkommen nach 1975 in den USA und den zentralen europäischen kapitalistischen Ländern nur wenig stieg, wurde die privat genutzte Technik erweitert und ihr Gebrauchswert weiterentwickelt.

    Die Umstände sind nicht in allen Ländern gleich, aber sie nähern sich einander an. Diese und andere Veränderungen des Alltagslebens werden öffentlich beschönigend als unvermeidliche Auswirkungen der Globalisierung der Ökonomie beschrieben.

  2. Begleiterscheinungen, Hintergründe und Ursachen

    Bei genauerem Hinsehen und etwas historischer Perspektive zeigt sich natürlich sehr schnell, daß mit dem Begriff “Globalisierung” das Ergebnis einer Vielzahl von Prozessen und Veränderungen auf einen vereinfachten Nenner gebracht wird. Zu diesen Prozessen und Veränderungen gehören:

    • Wachstumsraten und Akkumulation

      Seit der Krise 1975 wächst zwar die weltweite industrielle Produktion weiter, aber die Wachstumsraten des Bruttoinlandsprodukts (BIP) und der Industrieproduktion sind erheblich zurückgegangen. Die Akkumulation des Kapitals verlangsamte sich gegenüber der Zeit nach 1945 vor allem in Europa und Japan.

    • Veränderung der stofflichen Basis der industriellen Produktion

      Die stoffliche Basis der industriellen Produktion und der privaten Reproduktion hat sich im Laufe der letzten 50 Jahre erheblich geändert. Zwar werden auch die bisherigen Stoffe zunehmend gebraucht, aber das Erdöl und seine Kunststoffabkömmlinge haben eine überragende Bedeutung gewonnen.

    • EDV-Revolution der Produktivkräfte

      Die industrielle Produktion wird weiter mechanisiert. Durch automatische Systeme und Roboter erreicht der Prozeß neue Felder und Dimensionen, zuletzt bei der dramatischen Verringerung der Lagerhaltung und der Automatisierung der Logistik.

      Auch Verwaltungsvorgänge der Datenaufnahme, -speicherung und -verarbeitung, werden einer andauernden Umwälzung unterzogen, zunächst mittels Großrechenanlagen und dann durch den personal computer (PC). Zuletzt wird die weltweite Übertragung und Kommunikation von Daten mittels Satelliten und Glasfaserkabeln innerhalb von weltweiten Netzwerken grundlegend weiter entwickelt. Ermöglicht wird dies durch eine stufenweise und auch stetige Revolutionierung der elektronischen Datenverarbeitung.

    • Ende von Bretton Woods

      Das Weltwährungssystem von Bretton Woods wurde 1973 aufgelöst. Die zwischennationalen Währungsverhältnisse wurden wieder dem Spiel der einzelnen nationalen Interessen ausgeliefert. Der Dollar bleibt allerdings weiter einzig bedeutendes Weltgeld. Dies und das Gewicht der USA im Internationalen Währungsfond (IWF) lassen deren Interessen weiterhin dominant bleiben. Die nationalen Zinssätze differieren erheblich, ebenso die Inflationsraten. Große Instabilität der Profite im internationalen Handel, bei internationalen Investitionen in Wertpapieren und industriellen Direktinve- stitionen, sowie Spekulation auf Änderungen der Währungsparitäten sind die Folgen.

    • Keynesianische Krisenbekämpfung, Staatsverschuldung und Inflation

      Seit Beginn der 70er bis in die 80er Jahre erhöhten sich die Inflationsraten auch in der entwickelten Welt des Kapitals. Die keynesianische Krisenbekämpfung, in verschiedenen Ländern eher ein Nebenprodukt der Hochrüstung, erhöhte allgemein die Staatsverschuldung, trieb die Zinsen hoch und verengte die Haushaltsspielräume. Die realen Zinsen sanken. Hohe Inflation bei Stagnation des BIP, sog. Stagflation, führten zur Ohnmacht staatlicher Konjunkturpolitik im kapitalistischen Europa. Im Lauf der 80er Jahre reduzierten sich die Inflationsraten wieder. Die Rohstoffpreise sanken inzwischen kontinuierlich.

      Die Staatsverschuldung ermöglicht eine staatlich gesicherte Kapitalrente für Besserverdienende und erweitert so die soziale Basis des Kapitalismus.

    • Opec, Eurodollars, Internationalisierung des Kapitalverkehrs

      Mit den zwei Preiserhöhungen des Rohöls durch das Kartell der Ölförderländer (Opec) vergrößert sich sprunghaft der Markt für Geld und Anleihen in Dollar außerhalb der USA. Die Internationalisierung des Kapitalverkehrs nimmt außerordentlich zu.

      Die Preiserhöhungen des Rohöls werden allerdings durch die Teuerung der dafür gekauften Industrieausrüstungen bald wieder aufgesogen.

    • Konzentration und Zentralisation

      Die Industrieproduktion wuchs von 40/45/50 bis 70/75 vorrangig mit den Betrieben, seitdem vorrangig mit der Vermehrung der Zweigbetriebe. Die Akkumulation vollzog sich gesetzmäßig nicht nur als Konzentration, sondern zunehmend auch als Zentralisation, auch bei Banken und Versicherungen. Insgesamt setzte das Finanzkapital sein Wachstum und seinen Siegeszug fort.

    • Internationalisierung des Finanzkapitals; Neue Formen

      Seit den 80er Jahren hat sich der internationale Handel mit kurzfristigen Werten und mit Währungen erheblich ausgeweitet, seit den 90ern dramatisch vergrößert. Die zunehmende Menge überschüssigen Geldkapitals sucht spekulative Anlage, da die industrielle Akkumulation weltweit seit etwa 1975 erheblich zurückgegangen ist. Die Deregulierung der Finanz- und Währungsmärkte durch die Nationalstaaten ist diesem Interesse des Finanzkapitals nachgekommen und hat ihm Vorschub geleistet. In dieser Sphäre sind entsprechend neue Formen des Finanzkapitals, neue Märkte, neue Formen und Institutionen des Handels entstanden. Die Verbindung dieser Sphäre des Finanzkapitals mit den neuen elektronischen Formen der Datenverarbeitung und Datenfernübertragung hat sie als Casinokapitalismus zum Symbol der Globalisierung werden lassen.

      Die Rückwirkungen dieser Sphäre auf die nationale Geld-, Zins-, Währungs-, Haushalts- und Wirtschaftspolitik der vielen Staaten, ob real veranlaßt, ideologisch motiviert oder manipulativ genutzt, ist Dreh- und Angelpunkt der Debatte über die Möglichkeit nationaler Wirtschaftspolitik. Auch hierbei spielen die USA eine Sonderrolle.

    • Vom Güterexport zum Kapitalexport; Internationalisierung der Produktion, TNKs; Wissenschaft als Produktivkraft

      Das Größenwachstum der Industrieproduktion und der Konzerne, sowie die Verengung und Verunsicherung der Absatzbedingungen im In- und Ausland beschleunigte die Internationalisierung der Produktionsstandorte durch die Konzerne. Der Kapitalexport der Nicht-US-Konzerne steigerte sich erheblich. Die Konkurrenz internationalisiert und verschärft sich, benutzt dafür die technologischen Umwälzungen bei Produkten sowie Verfahren. Daher gewinnen die Forschungs- und Entwicklungsabteilungen (FuE) strategische Bedeutung für die Konkurrenz. Wissenschaft als Produktivkraft setzt sich im Produktionsalltag durch. Es bildet sich eine Spitzengruppe von sehr großen Transnationalen Konzernen heraus (TNKs).

    • Revolution von Ferntransport und Fernkommunikation

      Der sich weiter ausdehnende Handel mit Industriegütern wurde mit Hilfe einer sehr einfachen organisatorisch-technischen Revolution des Frachtverkehrs bewältigt, beschleunigt und verbilligt: Dem Containertransport.

      Die Organisierung der internationalen Finanz- und Güterströme, der industriellen Arbeit und der Produktionsplanung wurde durch die elektronische Revolution der Verarbeitung und Fernübertragung von Daten sehr erleichtert, wenn nicht sogar erst ermöglicht

    • Maschinisierung und Elektronisierung der Konsumgüter

      Die massenhafte Erhöhung der Reallöhne seit 1945/50 bis 1970/75 und die erhebliche Vergrößerung der Zahl der Lohnarbeiter, auch jener mit mittleren und höheren Einkommen, ermöglichte den massenhaften Absatz von neuen technischen Konsumgütern. Trotz dauernder Verbesserung und größerem Gebrauchswert der Produkte, auch mittels Elektronik, wurden sie stetig relativ oder absolut verbilligt, so daß sich ihr Absatz auf immer breitere Bevölkerungsschichten ausdehnte.

    • Revolutionierung der Lebensweise: Technisierung des Konsums und der privaten Reproduktion

      So haben z. B. Auto und Fernsehen die private Lebensweise von Millionen Lohnabhängiger verändert. Für die dramatische Verringerung des notwendigen privaten Arbeitsaufwandes zur Reproduktion der Familien und Haushalte trugen allerdings vornehmlich so einfache, praktische und technisch wenig revolutionäre Apparate wie Waschmaschine, Kühlschrank, Staubsauger und manche Küchengeräte, sowie die Heizung mit Öl, Gas oder Fernwärme bei. Damit verschwand die tägliche schwere körperliche Arbeit in den Haushalten.

    • Veränderungen der Mehrwert- und der Profitrate

      Bis 1980 ist die Mehrwertrate in den entwickelten kapitalistischen Ländern gesunken. Auch die Profitrate verminderte sich wohl wegen der Erhöhung des gesamten Kapitaleinsatzes.

      Möglicherweise hat die dramatische Verbilligung und Effektivierung der elektronischen Apparate diese Verminderung eine Weile gebremst.

    • Perspektivlosigkeit des fordistisch/ tayloristischen Fabriksystems

      Die weitere Effektivierung des Arbeitseinsatzes an den neuen Techniken konnte mit dem alten fordistisch/tayloristischen Fabrikregime nicht mehr erheblich weitergetrieben werden. Verschiedene neue Ansätze haben kein grundlegend neues Fabrikregime für die kapitalistische Produktion hervorgebracht, trotz Toyotismus, Lean Production, Just in Time oder Versuchen mit Gruppenarbeit. Historisch macht sich eine neue Betriebsweise im Kapitalismus erforderlich.

    • Eine andere Wirtschaftspolitik – Deregulierung nach innen und außen

      Die Regierung Thatcher in England, Reagan in den USA und Kohl in der BRD und setzt eine Umkehrung bisheriger Tendenzen der ökonomischen Staatstätigkeiten durch. Propagandistisch und praktisch wurden der Abschied vom Keynesianismus und die Inthronisierung des Neoliberalismus inszeniert.

      Nach innen kam es

zur Privatisierung bisheriger Staatsfirmen und staatlicher Dienstleistungen, sowie zu deren Abbau;
zum Abbau der Beschränkungen und Kontrollen des Kapitalverkehrs;
zur Deregulierung der Arbeits- und Sozialverhältnisse;
zur Bekämpfung der Tätigkeit der Organisationen der Arbeiterklasse;
zur Senkung der Steuern für Großeinkommen und Vermögen;
dagegen zur Erhöhung für Lohnabhängige.

Nach außen kam es

zur Deregulierung des Kapitalverkehrs und des Handels.

                 In der BRD konnte dann die Mehrwertrate seit 1983 bis in die späten 90er wieder gesteigert werden.
Ob sich auch die Profitrate durchgreifend erhöht hat, ist zumindest unklar (die Raten immer als gesellschaftlicher Durchschnitt).

                 Als Haupthebel zur Verbesserung der Nettoprofitrate wurde von den Regierungen
die Verringerung der Besteuerung der Unternehmensgewinne und Kapitalerträge eingesetzt.

                 Der andere Hebel bestand in der Schwächung der Kampfkraft der Lohnarbeiter,
um sie von Lohnerhöhungen als Teilhabe am Produktivitätszuwachs der industriellen Produktion abzuhalten.

    • Internationale kapitalistische Regulierung ohne UNO

      Gleichzeitig entwickelten die wichtigen kapitalistischen Industriestaaten als G7 eine neue Ebene der internationalen Abstimmung und Regulierung mit Hilfe ihrer Dominanz in IWF, Weltbank und Welthandelsabkommen (GATT , umgewandelt zur WTO).

      Die Verschuldungskrisen vieler Entwicklungsländer, später auch der sozialistischen, werden mit Hilfe der Währungskredite des IWF zur Öffnung für das private internationale Kapital genutzt.

      Was früher durch Kanonenboote, Invasionen, Krieg oder industrielle Durchdringung gelang, wird heute mit dem zwischenstaatlich organisierten internationalen Währungskredit erreicht: Freie Bahn fürs Kapital.

    • Änderungen in Feldern, Ausmaß und Funktionsweise des Stamokap

      Die Tendenzen zur Deregulierung und Privatisierung führen das erreichte Niveau des staatsmonopolistischen Kapitalismus (Stamokap) nicht auf Null. Der militärisch-industrielle Komplex bleibt am Leben, besonders stark in den USA.

      Trotz des massiven Sozialabbaus hat sich die Qualität der staatlich organisierten sozialen Reproduktion zwar verschlechtert, aber keineswegs dramatisch verkleinert. Insofern ist auch die Staatsquote in den meisten Ländern nicht erheblich gesunken. Allerdings greift dies nicht direkt in die Kapitalkreisläufe ein, sondern hält das Kapital bisher aus diesser Sphäre draußen.

      Über die Gesamttendenz der Entwicklung des Stamokap haben wir bisher keinen zuverlässigen Überblick.

Neues im Alten – oder neue Phase?

 

  1. Vielfalt der Kennzeichnungen, Unklarheit über Sache und Begriff

    Die Bezeichnungen für die sich seit Anfang der 70er Jahre herausbildenden Verhältnisse sind vielfältig: “Globalisierung”, “Casinokapitalismus”, “Postfordismus”, “Dienstleistungs-“, “Informations-“, “Wissens-“, oder “Risikogesellschaft”, “Neoliberalismus”, “entfesselter” Kapitalismus, Kapitalismus “pur” und sicher noch einige mehr – aber auch weiterhin: Imperialismus.

    Meist werden einzelne reale Seiten hervorgehoben, ohne doch schon überzeugend einen Kern bezeichnen zu können. Das gilt auch für die beiden Kennzeichnungen Neoliberalismus und Imperialismus, um deren angebliche Alternative es in der DKP seit einiger Zeit eine Diskussion gibt.

    Neoliberalismus kennzeichnet Ideologie, Programm und Praxis des Umbaus der bisherigen keynesianisch bestimmten staatlichen Formierung der kapitalistischen Vergesellschaftung. Insofern ist Neoliberalismus wesentlicher ideeller und praktisch staatlicher Teil der sich neu herausbildenden Verhältnisse – und daher nicht gut geeignet das neue Ganze im Kern zu bezeichnen.

    Imperialismus hingegen ist die Kennzeichnung für eine sich seit 1870/75 herausbildenden Phase der Weltgeschichte des Industriekapitalismus und der Begriff für die Art der staatlich vermittelten Formierung der kapitalistischen Entwicklung.

    Es ist nicht zu bezweifeln, daß wesentliche Strukturmomente des Kapitalismus seit dieser Zeit sich sogar verstärkt haben (Monopolisierung, Finanzkapital, Finanzoligarchie, Monopolprofite).

    Und doch muß gefragt werden, ob die damaligen Umstände der Formierung des Kapitalismus zum Imperialismus nicht von den heute neuen Umständen überlagert werden und zu einer neuen Art der Formierung drängen.

  2. Periodisierung der kapitalistischen Entwicklung im Marxismus

    Sowohl in der allgemeinen Debatte, wie auch bei der Diskussion in der DKP wird stillschweigend unterstellt, daß es so etwas wie Perioden der geschichtlichen Entwicklung des Industriekapitalismus gebe. Ob Imperialismus, Fordismus oder Globalisierung, immer werden spezielle Strukturen des Kapitalismus mit zeitlichen Abschnitten verbunden.

    Marx hat keine Theorie der Periodisierung der kapitalistischen Entwicklung hinterlassen. Seine im Kapital immer mal wieder verwendeten Einteilungen – Verlags-, Manufaktur- und Industrie-Kapitalismus – knüpfen an das jeweilige historische Ensemble von Produktivkräften an, das mit bestimmten Formen des Kapitals verbunden war und zeichnen das historische Eindringen des Kapitals in die gesellschaftliche Produktion nach.

    Theoretisch leitet Marx für den Industriekapitalismus ab, daß die vielen Einzelkapitale aufgrund der Akkumulation mittels Zentralisation und Konzentration zum Monopol tendieren und so die freie in monopolistische Konkurrenz verwandeln. Ursache ist die zunehmende Vergesellschaftung der Produktion. Die neuen Aktiengesellschaften sah Marx als Ausdruck dieses Prozesses an.

    Die Entwicklung der Formen der Konkurrenz ergibt sich aus veränderten Größenverhältnissen der Einzelkapitale zueinander und verändert die Weise der Ausgleichung der Profitraten. Lenin greift dies auf, führt die Monopolisierung vorrangig auf die Entwicklung und Vergrößerung der Produktivkräfte zurück und macht daraus eine grundlegende Phaseneinteilung der Entwicklung des Industriekapitalismus. Außerdem erklärt er wichtige Erscheinungen aus der kapitalistischen Welt in Ökonomie und Politik ab etwa 1875 bis in den 1. Weltkrieg hinein mit der Monopolisierung und kennzeichnet dies, nach der zentralen Erscheinung als Imperialismus.

    So, wie diese Einteilung keine historischen Etappen innerhalb der Phase der freien Konkurrenz kennt, nimmt sie auch keine weiteren Phaseneinteilungen nach dem Ende des 1. Weltkrieges und bis heute vor. Das Raster ist und bleibt zweiteilig, selbst wenn mit der Kategorie des Stamokap eine Unterabteilung hinzugefügt wird. Nach ihrer inneren Logik lassen sich aus dieser Einteilung keine weiteren Phasen konstruieren, sie verweist auf keine nächste.

    Mit der Diskussion um Globalisierung und Neoliberalismus auf Basis der Monopolisierung, ist aber die Frage nach der Differenz von klassischem Imperialismus und den heutigen Formen der Internationalisierung und der Rolle der Nationalstaaten gestellt.

    (Hier folgt im Reader der Schwerpunkt: Zur Weltgeschichte des Industriekapitalismus: Perioden der kapitalistischen Industrialisierung, der Entwicklung des Kapitals und seiner Formation. Leider kann dieser Teil aus Platzgründen hier nicht abgedruckt werden.- J. M.)

    Seit dem Beginn der kapitalistischen Industrialisierung in England etwa ab 1765 lassen sich ungefähr sieben verschiedene Perioden unterscheiden, wenn man nicht ausschließlich ein einzelnes Kriterium als Abgrenzung verwendet. […].

Zur Formierung kapitalistischer Entwicklungsphasen

Der Gang durch die historische Entwicklung des Industriekapitalismus zeigt uns zwei zunächst einfache Ergebnisse: Erstens: Die von Marx erarbeiteten Gesetze der Dynamik des Kapitals bestimmen bis heute die Entwicklung der kapitalistischen Formation. Zweitens: Die von Lenin untersuchten Strukturveränderungen des Kapitals aufgrund seines Wachstums zu Monopolen sind ebenfalls weiter wirksam.

Darüber hinaus deutet sich eine sehr komplizierte Antwort auf die oben schon erwähnte Problematik der Periodisierung der Entwicklung des Industriekapitalismus an. Sie ist bisher weder theoretisch durchdrungen noch empirisch richtig erforscht. Ein Versuch, der auf den Vorsitzenden der kommunistischen Partei Italiens der 20er Jahre, den Leninisten Gramsci zurückgeht, das Konzept des Fordismus, ist sicherlich noch zu kurz gegriffen. Schematisch zusammenfassend kann man aber sicher schon das Folgende sagen:

Für die Formierung kapitalistischer Entwicklungsphasen gibt es anscheinend ein jeweiliges Bündel von Umständen, das die Formierung ermöglicht oder begünstigt. Sie gehören zu unterschiedlichen Ebenen des historischen Prozesses. Dazu gehören:

  • Die Hauptfelder der industriellen Produktion, der Mehrwertproduktion und der Profitaneignung; stoffliche Bedingungen der Erzeugung des relativen Mehrwertes und der Erzielung von Extraprofit.
  • D. h. Stand, Struktur und Entwicklungsdynamik der Produktivkräfte (dominierende und wachstumsbestimmende Wirtschaftszweige, Produktionen, Verfahren und Fabrikregime (Betriebsweisen));
  • Die durchschnittliche Größe der Wachstumsraten der industriellen Akkumulation, der Größe der Mehrwert- und der Profitraten;
  • Die Felder und Hebel der Konkurrenz
  • Die Kräfteverhältnisse zwischen Kapital und Lohnarbeitern (u.a. abhängig von Geschwindigkeit und Art der Akkumulation;)
  • Das Größenverhältnis der Kapitale zur Staatlichkeit des Herkunftslandes und der anderen Länder des Weltmarktes;
  • Die ökonomischen sowie militärischen Größen- und Kräfteverhältnisse der kapitalistischen Staaten;
  • Die staatliche Organisierung der Reproduktion der materiellen und immateriellen Infrastruktur und der Reproduktion der Arbeitskraft der Arbeiterklasse;
  • Die Lebenssituation der Arbeiterklasse und ihre Diffenzierungen;
  • Die soziale und politische Basis des Kapitals; ökonomisch-politische Kraft und Orientierung der Arbeiterklasse,
  • sowie als Resultat: Das Kräfteverhältnisse der Hauptklassen.

In ihrer jeweiligen Ausbildung und ihrem Zusammenwirken bilden solche Umstände anscheinend historische Konstellationen, die typische Wachstumsmuster des Kapitals hervorrufen können, die man als jeweilige Formierung der bürgerlichen Gesellschaft auffassen kann.

Aus der realen und der theoretischen Geschichte haben wir es u. a. mit drei herausragenden Problemen der Formierung zu tun, die noch kurz gesondert angesprochen werden sollen.

  • Stamokap

    Zunächst geht es um das historische Verhältnis zwischen Kapital, Staat und Politik, wie es in der strukturell wichtigen ökonomischen Staatstätigkeit im staatsmonopolistischen Kapitalismus (Stamokap) zu Tage trat.

    Dies ist erkennbar eine Entwicklungsstruktur, die einerseits auf je konkrete, der spezifischen Gesellschaft geschuldete historische Bedingungen zurückgeht, andererseits mit der Monopolisierung und dem Imperialismus sich herausbildete. Weder verschwindet der Stamokap unvermittelt mit der Transnationalisierung von Produktion und Kapitalanlagen, noch verändert dies umittelbar seine innergesellschaftliche Funktion. Ob er seine quantitative Bedeutung verliert, hängt ganz offensichtlich von der relativen Größe und Autonomie der Ökonomie ab. Wir sind gerade Zeugen solcher sehr widersprüchlichen Vorgänge in den USA (Rüstung und High Tech), in Japan (Ausweg aus der Depression), Frankreich und Italien (Großfusionen von Banken, Versicherungen, Ölfirmen). Die Verhältnisse sind in dramatischer Entwicklung.

  • Alte Fragen, die noch aktuell sind

    Dann haben wir es mit einer alten Frage zu tun, die noch aktuell ist. In welchem Verhältnis steht Lenins Diagnose der besonderen Aggressivität der nationalen Imperialismen zu den heutigen Entwicklungen der Internationalisierung? Diese Frage war schon vor dem 1. Weltkrieg für die Strategie der nationalen Arbeiterbewegungen relevant. Wir wissen, wie die Sache ausgegangen ist.

    Zunächst dürfen wir nicht außer acht lassen, daß das Kapital als produktives Ausbeutungsverhältnis gewalttätig zur Welt gekommen ist. Weiter, daß es als Ausbeutungsverhältnis auch ein Gewaltverhältnis ist – sich bei laufender Akkumulation nur des stummen Zwangs der Verhältnisse bedient. Drittens, daß die gewaltförmige Aufrechterhaltung oder Ausdehnung der Eigentumsverhältnisse nicht erst im Imperialismus zum Standardrepertoire der herrschenden Klassen gehört. Viertens, daß die gewaltförmige Besiegung von Konkurrenten auch schon vor dem klassischen Imperialismus nur von der Gelegenheit abhing.

    Die Frage, ob die monopolistische Konkurrenz der Konzerne auch in ihrer transnationalen Form und Größe noch mit Hilfe des militärischen Gewaltapparates der verschiedenen nationalen Heimatstaaten droht ausgefochten zu werden, läßt sich sehr kurz zusammenfassen:

    Ökonomisch macht es nur noch für die USA als Politik der “open door” Sinn. Für die anderen sind die Verhältnisse nicht mehr so. Die Dominanz der USA verhindert dies und macht es in diesem Sinne historisch überflüssig. Daß Interessen erwogen werden, dies zu ändern, ist zu vermuten. Ob es sich lohnt und ob es geht, das sind die entscheidenden Fragen. Sie hängen unter anderem von den auf Dauer mobilisierbaren Militärbudgets ab, also von den ökonomischen Ressourcen. Dies wäre also strukturell zu untersuchen.

  • Transnationalisierung der Produktion und Nationalstaaten

    Drittens haben wir es mit der strukturell entscheidenen Frage der Entwicklung von neuen Verhältnissen zu tun, der Transnationalisierung der kapitalistischen Großproduktion.

    Deren neue Qualität ist letztlich in der Ausdehnung und Revolutionierung der Produktivkräfte und der Produktion, sowie der entsprechenden Änderungen der Produktionsverhältnisse begründet.

    Die Grenzen der Nationalstaaten müssen dabei in neuer Weise überschritten werden. Der Überbau der weltweiten kapitalistischen Formation existiert bisher grundlegend nur partikular in Form der verschiedenen Nationalstaaten. Wegen der neuen Größenordnung der großen Kapitale in den TNKs entspricht diese Partikularität nicht mehr voll den gewachsenen Bedürfnissen dieses Teils der Basis. Dies erzeugt Widersprüche mit den historisch entstandenen Formen und Realitäten des Überbaus der verschiedenen bürgerlichen Gesellschaften.

    Die Größenordnung der USA bildet offenbar noch eine zureichende Basis für die weltweite Operationsfreiheit und Dominanz des US-Kapitals. In Europa scheint das Kapital der transnationalen Konzerne auf seinem Weg zur Internationalisierung eine Zwischenebene der Staatlichkeit zu organisieren. Aus dem Ende des 2. Weltkrieges gibt es eine Reihe von internationalen Regulierungsinstitutionen zwischen den Staaten. Die USA dominieren in diesen Institutionen heute mit Hilfe des informellen Kartells der wichtigsten kapitalistischen Mächte, den G7. Welche weiteren Entwicklungen sich hier ergeben werden, scheint prinzipiell nur von den widersprüchlichen Triebkräften her klar zu sein, nicht aber schon von den quantitativen Dimensionen – also ist das Ergebnis noch nicht abschätzbar.

Der Stand der Dinge

Aus dem Dargelegten folgt: Ganz sicher befinden wir uns in einer Phase der Auflösung der alten, keynesianischen, durch die Führung der US-Kapitale und ihres Staates bestimmten Formierung. Die Dominanz der USA scheint sich aber, vor allem militärisch vermittelt, eher noch zu verstärken.

Eine neue Formierung hat sich anscheinend bisher nicht herausgebildet. Für die Klärung der heutigen Verhältnisse handelt es sich also darum, ob und wie das vielfältige, teilweise disparat erscheinende Bündel an alten und neuen Phänomenen sich zu einer neuen Konstellation für eine neue längerfristige kapitalistische Formierung mausert.

Ob sich unter unseren Augen gerade eine solche Formierung abspielt, ist unklar, vielleicht auch offen. Wahrscheinlich rührt auch daher das Rätseln um eine treffende Begrifflichkeit für die neuen Verhältnisse.

Jörg Miehe

Der Hungergürtel

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