„union sacre“ aus dem ersten Weltkrieg wird beschworen

„union sacre“ aus dem ersten Weltkrieg wird beschworen
Reaktionäre Formierung am Beispiel Frankreich

Die französische Zeitschrift „Alternatives Economiques“ hat in ihrer Oktober-Sonderausgabe „Les Chiffres 2021. L’economie et la société en 35 themes et 200 graphiques“ die Arbeiterklasse und unterdrückte Schichten mit nackten Zahlen umschrieben: Arm nach Kaufkraft ist in Deutschland nach Eurostat, wer unter 13.188 Euro im Jahr hat, das sind 16,0 Prozent der Bevölkerung, also fast jeder Sechste mit 1.099 Euro im Monat. In Frankreich ist die Armut mit 13,4 Prozent fast so schlimm. Die Armutsgrenze von 1011 Euro monatlich liegt auch bei unserem Nachbarn in Reichweite des „Gini“, der besagt, dass die Hälfte der Bevölkerung unter 1.771 Euro Kaufkraft hat. Das „9. Dezil“ in der Statistik sagt uns, dass die Einkommen von 90 Prozent der Bevölkerung unter 3.654 Euro liegen, bei den restlichen10 Prozent steigt die Kurve steil nach oben. Wo ist da die Arbeiterklasse, Angestellte, Arbeiter, der Mittelstand? Gleichermaßen bedroht, in die Armut abzurutschen.

Neoliberale Politiker, Marktradikale Unternehmer, die Neocons haben die Nachkriegsordnung aufgekündigt. Staatliche und kommunale Eigenbetriebe, als überbürokratisiert verschrien, wurden ausgelagert, öffentliche soziale Dienste reduziert oder eingestellt: Wohnungsbau, Energie, Verkehr, Gesundheit, jetzt kommt die Bildungs-Infrastruktur dran. „Demokratische Sozialisten“ werden immer weniger gebraucht, seit die „Chicago Boys“ Chile umgekrempelt haben. So ist in Frankreich Francois Hollande gescheitert, der den Weg freimachte für Emmanuel Macron. Die Sozialistische Partei hat sich in ihre Flügel aufgelöst. Als Heilsbringer einer neoliberalen „Bewegung“ stampfte der Banker Macron für die Wahlen 2017 eine Partei aus den Boden, sammelte in einer Casting-Runde Kandidaten um sich aus dem bürgerlich-links-Mitte-Lager. Angesichts einer zersplitterten Linken und skandalgeschädigten Mitte hat Macron eine bis dato ungekannte koordinierte mediale Doppelstrategie in den Sattel gehieft: Zum einen wurde die rechte Front National mit Marine Le Pen drohend an die Wand gemalt, um Macron als „linksliberale“ (Le Monde) Alternative anzudienen. In den Jahren zuvor profilierte sich Marine Le Pen populistisch in ehemals „roten“ Industrieorten, diskreditierte erfolgreich korrupte sozialistische Seilschaften.

Die herrschende Meinung Frankreichs wird in der vernetzten Meinungsindustrie in den Händen von sieben Oligarchen fabriziert, die auch gleichzeitig zum statistischen „99. Perzentil“ gehören, also zu dem 1 Prozent der reichsten Ausbeuter Frankreichs.

„L’Etat c’est moi!“, der Wahlspruch König Ludwig IX. galt auch für Emmanuel Macron. Aber Macht und Herrschaft der Oligarchen sieht sich nicht nur durch eine übergroße Masse an unterdrückten Menschen bedroht, sondern dazu noch bedrängt durch den Klimawandel und die Begrenztheit der Ressourcen unseres Planeten. Macron ritt – angetreten, den antifaschistischen Klassenkompromiss zwischen PCF und de Gaulle aus dem Staatsapparat endgültig zu eliminieren – auf der Welle einer breiten bürgerlichen Zustimmung im Rahmen eines medial gesteuerten „sozialen Dialogs“. Er verkaufte Staatsbetriebe wie Alsthom ins Ausland, privatisierte Anteile, dünnte den Öffentlichen Dienst aus und trieb die „Rentenreform“ voran. Nach seinen eigenen Worten musste es schnell geschehen, denn seine Anhängerschaft bröckelte:: die anfangs große Zustimmung schmolz und kehrte sich – auch durch die massenhafte Gegenbewegung der „Gilet Jaunes“ und der kämpferischen Gewerkschaften – in Meinungsumfragen um, im Parlament verließen Abgeordnete die Bewegung – aber die Covid-Pandemie kam zupass und bot die Gelegenheit wie hierzulande, die kapitalistische Krise für ein „reset“ zu nutzen, im „Notstand“ soziale Errungenschaften zu kappen und Freiheitsrechte rabiat einzuschränken, aktuell mit dem Gesetz „securite global“ das Filmen von Polizeibrutalität unter Strafe stellt. Auch wenn sich die PCF und Gewerkschaften wieder aufrappeln, in den Betrieben Widerstand und auf der Straße Demos organisieren, die schleichende Faschisierung nicht nur im EU-Rahmen ist Thema in den Foren u.a. der PCF, der PRCF, der NPA.

Und ideologisch wird die „union sacre“ aus dem ersten Weltkrieg beschworen, alle sich hinter den Präsidenten zu stellen. Und der Totalitarismus wird aufgewärmt. Die Front National gab sich ein neues Outfit: „Rassemblement National“, doch in den Medien wird sie wie die Kommunisten geschnitten. Zur Jagd auf die PCF und CGT ist geblasen, Aktuell wird die Federation Rhone von teils anonymen faschistischen Gruppierungen systematisch bedroht. RN wie PS-Bürgermeister mobben antikapitalistisch aktives Personal, kündigen Gewerkschaften aus den öffentlichen Räumlichkeiten, vertreiben Flüchtlinge in die Obdachlosigkeit. Und die Bosse organisieren den Umbau ihrer Unternehmen auf smarte digitale Ausbeutung.

Im Frühjahr 2022 sind Wahlen angesetzt. Und für den Fall, dass Macron den Herrschenden keine Gewähr mehr bietet, den neoliberalen Umbau des Staates weiterzutreiben, wird wie schon unter Hollande eine neue Variante B vorbereitet: Nicht der sozialdemokratische Ex-Minister Arnaud Montebourg noch der linke Jean-Luc Melenchon, sondern Medienfavorit ist der frühere Stabs-Chef der Armee aus altem Adel: General de Villiers wäre bereit, sich „dem französischen Volk zu widmen“ wie schon einmal „in schweren Zeiten“ der Hitler-Kollaborateur General Petain. Nach Le Figaro vom 20. November sind schon 20 Prozent der Franzosen bereit, ihn zu wählen. …

Georges Hallermayer, Dortmund

 

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