Noch konkreter auf die Lebenslage der Beschäftigten beziehen

Noch konkreter auf die Lebenslage der Beschäftigten beziehen
Sozialpartnerschaft und Ko-Management sind babylonische Gefangenschaft

Die Bildungszeitung 2/2020 ist gut aufgebaut und verständlich formuliert. Der auf der Titelseite vorgestellte „Leitgedanke“ fasst den Sachverhalt gut zusammen und umreißt die Thematik. Unwissend welches Begleitmaterial die Bildungskommission zur Erarbeitung zur Verfügung stellen kann, möchte ich einige Anmerkungen machen.
Der erste Teil ist notwendigerweise etwas abstrakt. Der sich herausgebildet habende SMK sollte illustriert werden; idealerweise geht das anhand der Autoindustrie. Der Begriff „geschlossene Heimatfront“ trägt meiner Meinung nach: Wäre dem Kapital nicht an der unbedingten Zustimmung der Beherrschten gelegen (oder: wäre sie nicht notwendig), wäre auch die seit 30 Jahren andauernde verbissene Delegitimierung der DDR nicht nötig. Auch wäre die Selbstgleichschaltung der Medien zur Quasi-Propagandaabteilung ebenfalls nicht nötig. (Dies umso mehr, je krisenhafter die Gesamtlage ist: Die Digitalisierung z.B. (nebst anderem) ist „alternativlos“ – Umwelt und Überwachung hin oder her.)
Die Illustration der Methoden der Formierung im zweiten Teil lässt sich meiner Ansicht nach – und sollte – noch konkreter auf die Lebenslage der Beschäftigten bezogen werden, um die eigene Betroffenheit herauszustellen/zu unterstreichen: Viele Monate vor den damals dann erfolgten Sozial-Deformen wurde nachhaltig gegen eine „Rentnerschwemme“ und die Hängemattenschaukler („Florida-Rolf“) anpolemisiert. Dieses Meinungsmanagement hat zudem Spaltungslinien gezogen und vertieft, die heute noch böse nachwirken, bzw. genutzt werden: Generationenkonflikt, Beschäftigte gegen Nichtbeschäftigte. Wenn man die Entfaltung der im ersten Teil dargelegten Potenz zur autoritären Herrschaft bedenkt, können diese Spaltungslinien gar nicht stark genug in den Fokus genommen werden. Empirische Forschungen zum Arbeiterbewusstsein (hier: Klaus Dörre u.a.) konstatieren eine exklusive Solidarität in einer demobilisierten Klassengesellschaft. Deren logischer politischer Ausdruck wäre dann die AfD.
Die Gefährdung der Demokratie durch sozialchauvinistische Kräfte wird durchaus gesehen. Die Kritik daran verbleibt aber lediglich moralisch, da die zugrundeliegenden sozialökonomischen Verhältnisse und Veränderungsprozesse, das Sein bestimmt das Bewusstsein, nicht thematisiert werden (sollen). Insoweit erscheint die „Verteidigung der Demokratie“ hilflos wie die in Endlosschleife vorgetragenen Appelle des Bundespräsidenten.
Die Verteidigung der Demokratie formal und inhaltlich sollte auf ihrer (noch) allgemeinen Grundlage, nämlich das Grundgesetz, gründen. Während interessierte bürgerliche Kräfte die Verfassung fluide handhaben, ggf. was rausstreichen und/oder reinschreiben (z.B. das Militär, die Schuldenbremse), müssen wir, bevor es evtl. zu spät ist, die Sozialpflichtigkeit des Eigentums (Art. 14, 15) und die Möglichkeit zur Vermögenssteuer (Art. 106, ff) offensiv und penetrant reklamieren. (Diesbezüglich passiert gerade das Gegenteil, quasi als Blaupause, bei der Lufthansa: Steuerzahlergeld wird in die Firma gepumpt bei expliziter gleichzeitiger Hinnahme von Entlassungen seitens Politik (und Gesellschaft) und Lohnsenkungen.)
Rolle der Arbeiter(klasse) und ihrer Organisationen
Um für die Demokratie werben zu können, bedarf es überzeugender/mobilisierender Argumente. Das führt meiner Ansicht nach zur Frage, was die Arbeiterklasse/die Gewerkschaften/wir Kommunisten aktuell in die politische Waagschale werfen können. Während die Gewerkschaften einmal die Frage diskutierten, Gegenmacht ja oder nein zu können oder zu wollen, müssen sie derzeit neben den Unternehmern und mit diesen gemeinsam (Metallbranche) um staatlichen Erhalt des Ausbeutungs-Status quo (sprich: Erhalt von Betrieben und Arbeitsplätzen) bitten; gewerkschaftlicher Organisationsgrad, Tarifbindung, aber auch – siehe beispielsweise Lufthansa – die Entlohnung sind im Abwärtstrend.
Die letzten Stationen des selbstgewählten Passionswegs seien kurz aufgeführt: 1996 verkündete der damalige DGB-Chef Schulte: „Auf den Klassenkampf von oben werden wir NICHT mit dem Klassenkampf von unten antworten.“ Einige Jahre später war der „Standort Deutschland“ Trumpf. Dann kam das „Bündnis für Arbeit, Ausbildung und WETTBEWERBSFÄHIGKEIT“. Und dann kam SPD-Schröder mit Hartz IV und Agenda 2010. Beides wurde praktisch klaglos hingenommen – eine strategische Niederlage! Das Ergebnis des damals so genannten Paradigmenwechsels („Eigenverantwortung“: Jeder ist sich selbst der Nächste; Sozialhilfe allerhöchstens als Fürsorge): überbordender Bereicherungsfinanzmarktkapitalismus einerseits – materielle Prekarisierungsnullperspektive andererseits. (Meines Wissens wird zwar an den SPD-Schröder-„Reformen“ herumgemeckert. Sie als Fehler zu bezeichnen, was meiner Ansicht nach unabdingbar wäre, weigert man sich beharrlich.) Daß die so Angeschmierten mangels überzeugender Alternativen eine Rechtsaffinität entwickeln würden, konnte man schon damals wissen – heute weiß man es.
Wenn wir heute über die Verteidigung der Demokratie reden, stellt sich die Frage, wer zu welchen Konditionen die Corona-Kosten bezahlen wird. Die im Meinungsmanagement verhandelten Antworten sind die bewährten: Arbeitsmarktflexibilisierung nebst Lohnsenkung, Unternehmenssteuersenkung, Sozialleistungskürzung (Rente, Gesundheit, Arbeitslosigkeit). Profite und Vermögen heilig, weil Investitionen, Arbeitsplätze, dideldadeldö …
Wenn zur Verteidigung der Demokratie „kämpferische Gewerkschaften“ beschworen werden, sind dann Sozialpartnerschaft und Ko-Management (Als ich diese Worte getippt habe, quietschte meine Tastatur!) der angemessene Handlungsrahmen? Oder sind sie nicht doch eher so etwas wie eine babylonische Gefangenschaft – oder sogar eine Deutsche Arbeitsfront 2.0?
Zur inhaltlichen Verteidigung der Demokratie müssen die Arbeiter und ihre Organisationen – gerade auch in Auseinandersetzung mit den Sozialchauvinisten – über den Tellerrand ihres Betriebes blicken und sich auch im gesellschaftlichen Raum um die Verteidigung des Sozialstaats kümmern (sprich: statt Sozialkahlschlag Bezahlung der Corona-Lasten durch die Profiteure). Und das muß offensiv und nachhaltig erfolgen. Sonst gibt’s keine Glaubwürdigkeit – und die nächste Niederlage. Ich würde das als einen Schritt zur notwendigen Rekonstruktion des Klassendenkens ansehen. All das scheint mir aber eigentlich Thema einer eigenen Bildungszeitung zu sein.

Joachim Glund, Duisburg

 

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