Die Lehren von Marx, Engels, Lenin – theoretisch-weltanschauliche Grundlage der Politik und Organisation der DKP
Das Wesen der dialektisch-materialistischen Geschichtsauffassung
“In den nächsten zwei Jahren sollen die zentralen Parteibildungsthemen darauf orientieren, dass die Mitglieder der DKP sich systematisch im Zusammenhang mit Aussagen unseres Programms marxistisches Grundwissen erarbeiten und mit aktuell-politischen Fragen sowie Erfahrungen aus den aktuellen sozialen und politischen Kämpfen verbinden. Wir leisten damit zugleich einen Beitrag zur Stärkung der Partei und für die Außenwirkung der DKP.”
Aus dem Beschluss der 8. Parteivorstandstagung:
Zentrale Parteibildungsthemen für die Grundorganisationen der DKP (2006 bis 2009)
Die Niederlage des Sozialismus in Europa 1989/90 wurde in akademischen Kreisen Westeuropas und der USA mit dem Ende der Marxschen Theorie gleichgesetzt. “Der Marxismus und seine Anhänger sind gescheitert.” Dies war die gängige Auffassung und reichte bis in Kreise der Linken. Auch die Politik nutzte die Gunst der Stunde. Wer von uns erinnerte sich nicht mehr des vollmundigen Worts von Norbert Blüm, “Marx ist tot, Jesus lebt”?
Jeder wurde belächelt oder galt als diskreditiert, der sich noch offen zu den Lehren von Marx, Engels und Lenin, zur wissenschaftlichen Weltanschauung und deren theoretischen Grundlagen bekannte
zur dialektisch-materialistischen Philosophie, d.h. die Wissenschaft von den allgemeinen Struktur- und Entwicklungsgesetzen der Natur, der Gesellschaft und des Denkens, die eine dialektisch-materialistische Geschichtsbetrachtung einschließt;
zur politischen Ökonomie, d. h. die Wissenschaft von den gesellschaftlichen Beziehungen und Verhältnissen, welche die Menschen in der Erzeugung der materiellen Güter und ihrer Verteilung untereinander eingehen;
zum wissenschaftlichen Sozialismus, d. h. die Wissenschaft von den Bedingungen des Befreiungskampfes der Arbeiterklasse, von ihrem sozialistischen Ziel und von den Grundlagen der neuen sozialistischen Gesellschaft.
Als “Ewiggestrige” kennzeichnete man auch jene, die sich in einer kommunistischen Partei wie der DKP organisierten, die ihre Politik und Organisation auf diese wissenschaftliche Weltanschauung gründet.
Auch wenn Marx heute häufiger in bürgerlichen Medien zitiert wird und ihm durchaus ernst zunehmende theoretische Erkenntnisse beispielsweise im Hinblick auf die ökonomische Analyse der kapitalistischen Gesellschaft zugebilligt werden, in einer Frage werden ihm und seinen Anhängern entscheidende Irrtümer unterstellt: In der Geschichtsauffassung.
Wir wollen uns bei diesem Parteibildungsthema darauf konzentrieren: Mit dem Geschichtsdenken ist aktuell die drängende, auch praktisch-politische Frage nach den historischen Möglichkeiten und der Notwendigkeit gesellschaftlicher Veränderungen und nach Alternativen zum gegenwärtigen Kapitalismus verbunden. Dies wird im Programm der DKP bereits in der Einleitung aufgegriffen.
Fukuyama und Marx?
Ende der 80er Jahre erklärte der stellvertretende Chef des Planungsstabes im State Department, Francis Fukuyama in der Vierteljahreszeitung “National Interest”: “Was wir erleben ist vielleicht nicht nur das Ende des Kalten Krieges oder einer bestimmten Periode der Nachkriegszeit, sondern das Ende der Geschichte überhaupt; also der Endpunkt ideologischer Evolution der Menschheit und der Beginn der westlichen liberalen Demokratie als endgültige Form menschlicher Regierung”.
Fukuyama vertrat die These, dass sich nach dem Zusammenbruch des Sozialismus (in Europa) bald die Prinzipien des Liberalismus in Form von Demokratie und Marktwirtschaft endgültig und überall durchsetzen würden. Er ging von einer Zwangsläufigkeit der Geschichte aus. Bürgerliche Kritiker Fukuyamas und andere unterstellen dies auch dem Marx´schen Denken.
Damit werden Marx und Engels verfälscht. Verschwiegen wird in der Regel auch, was marxistische Philosophie, Ökonomie oder beispielsweise Geschichtswissenschaft seit Marx, Engels und Lenin geleistet hat. Vor allem im Hinblick auf die Erkenntnis von Entwicklungsprozessen und den ihnen zugrunde liegenden objektiven Gesetzen. Die Irrtümer, Fehler, Zugeständnisse an politische Vorgaben werden dagegen besonders hervorgehoben.
Es um dabei natürlich um Herrschaftsinteressen. Nur selten werden Marx, Engels, Lenin u. a. als Wissenschaftler gesehen, die aufklären und die bestehenden ungerechten gesellschaftlichen Verhältnisse verändern wollten, die ihre theoretischen Überlegungen immer wieder anhand von Fakten, an der Praxis überprüften und sie weiterentwickelten.
Was aber ist Geschichte?
Ist menschliche Geschichte die Abfolge von Königskrönungen und -morden, von Kriegen und Friedensverträgen? Ist sie nur eine Geschichte vom Faustkeil bis zum Supercomputer? Oder von Ideen? Von wem und wodurch wird sie bestimmt?
Wer ein Geschichtsstudium in diesem Land aufnimmt, wird detailliertes Wissen über einzelne Geschehnisse, einzelne Epochen und Persönlichkeiten erhalten. In der Regel wird aber nicht auf Zusammenhänge und nur teilweise auf Ursachen verwiesen. Offizielle Geschichtswissenschaft ist heute meist “Stückwerkwissenschaft”. Die Frage nach dem Geschichtsprozess als Ganzem wird als “metaphysisch” und “unkritisch” verworfen. Die herrschende Geschichtsbetrachtung ist parteilich im bürgerlichen Herrschaftsinteresse und wird in der Öffentlichkeit zudem geprägt durch Pseudohistoriker wie Guido Knopp.
Wie aber kommt man zur Aufdeckung von Zusammenhängen und Ursachen des Geschichtsprozesses?
Das ist der Kern des Problems. Hier wird deutlich, warum vor allem die marxistische Geschichtsauffassung bis zum heutigen Tag durch bürgerliche Ideologen bekämpft wird: Nur sie führt nämlich zur umfassenden Erkenntnis der objektiven Ursachen gesellschaftlicher Entwicklungen, deckt wesentliche Zusammenhänge auf und negiert auch nicht die Rolle zufälliger Erscheinungen. Sie analysiert Kräfte des Fortschritts und der Reaktion in der Gesellschaft – in ihrer Differenziertheit und in ihrem historischen Wandel. Sie verweist auf die historischen Möglichkeiten zur Veränderung der bestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse.
Marx und Engels konnten auch bei ihrer Untersuchung der Geschichte an eine Tradition anknüpfen. Im Kampf gegen den Feudalismus entwickelten bürgerliche Denker Positionen, die in der Entdeckung des Klassenkampfes als Triebkraft der Geschichte gipfelten (Guizot, Thierry). Das Verdienst von Marx und Engels war, die Analyse historischer Ereignisse bis zum materiellen Ursprung der Erscheinungen zurückzuführen. Wie Lenin feststellte, hat Marx zudem der Auffassung ein Ende bereitet, die Gesellschaft sei “ein mechanisches Aggregat von Individuen, an dem gemäß dem Willen der Obrigkeit … beliebige Veränderungen vorgenommen werden können, das zufällig entsteht und sich wandelt”. (Lenin: Was sind die “Volksfreunde” und wie kämpfen sie gegen die Sozialdemokraten?)
Erstens entdeckte Marx – wie Engels anlässlich des Begräbnisses von Marx schrieb -, “das Entwicklungsgesetz der menschlichen Geschichte: die bisher unter ideologischen Überwucherungen verdeckte einfache Tatsache, dass die Menschen vor allen Dingen zuerst essen, trinken, wohnen und sich kleiden müssen, ehe sie Politik, Wissenschaft, Kunst, Religion usw. treiben können; dass also die Produktion der unmittelbaren materiellen Lebensmittel und damit die jedesmalige ökonomische Entwicklungsstufe eines Volkes oder eines Zeitabschnitts die Grundlage bildet, aus der sich die Staatseinrichtungen, die Rechtsanschauungen, die Kunst und selbst die religiösen Vorstellungen der betreffenden Menschen entwickelt haben, und aus der sie daher auch erklärt werden müssen – nicht wie bisher umgekehrt”.
Zweitens: Durch die Hervorhebung der Gesamtheit der Produktionsverhältnisse (um zu produzieren gehen Menschen bestimmte Beziehungen und Verhältnisse ein, nur innerhalb dieser gesellschaftlichen Beziehungen, Verhältnisse findet die Produktion statt) einer Epoche schufen Marx und Engels die Voraussetzung dafür, die Gesetzmäßigkeit des gesellschaftlichen Entwicklungsprozesses zu erklären, wesentliche Zusammenhänge von unwesentlichen zu unterscheiden und die Verhältnisse in unterschiedlichen Ländern mit dem Grundbegriff ökonomische Gesellschaftsformation zu erfassen.
Drittens schuf erst die Zurückführung der gesellschaftlichen Vorgänge auf die Produktionsverhältnisse und dieser wiederum auf die Produktivkräfte (das sind die Instrumente, mit denen die Menschen arbeiten, die Technik und die Menschen selbst mit ihren Arbeitsfertigkeiten und Erfahrungen) die Voraussetzung dafür, die Entwicklung der Gesellschaft als gesetzmäßigen Prozess zu begreifen. Dem Geschichtsprozess liegt also letztlich die Entwicklung der Produktivkräfte zugrunde. Als Folge dieser Entwicklung entsteht aus einer Form des gesellschaftlichen Lebens eine andere, höhere.
Im Einzelnen sind diese Prozesse natürlich außerordentlich komplex, es gibt “Stillstand” in Entwicklungen, Rückschritte, “Brüche”. Zum ersten Male wurde es durch diese Entdeckungen möglich, die Gesetze des Geschichtsablaufs zu erforschen und somit auch die Politik auf eine wissenschaftliche Grundlage zu stellen. Nicht unerheblich war, dass diese Erkenntnisse auf der wissenschaftlich fortgeschrittensten Entwicklungsauffassung des 19. Jahrhunderts beruhte; die Ergebnisse der wissenschaftlichen Forschungen im folgenden Jahrhundert konnten natürlich – ebenso wie die folgenden historischen Erfahrungen – nicht berücksichtigt werden. Dies war und bleibt die Aufgabe nachfolgender Generationen.
Marx und Engels sahen – auch wenn sie mit der Entwicklung der Arbeiterbewegung große Hoffnungen verbanden – durchaus die Komplexität der Geschichte. Engels schrieb 1890 in einem Brief an Joseph Bloch: “Nach materialistischer Geschichtsauffassung ist das in letzter Instanz bestimmende Moment in der Geschichte die Produktion und Reproduktion des wirklichen Lebens…Die ökonomische Lage ist die Basis, aber die verschiedenen Momente des Überbaus… üben auch ihre Einwirkung auf den Verlauf der geschichtlichen Kämpfe aus und bestimmen in vielen Fällen vorwiegend deren Form. Es ist eine Wechselwirkung aller dieser Momente, worin schließlich durch alle die unendliche Menge von Zufälligkeiten als Notwendiges die ökonomische Bewegung sich durchsetzt …”
Nicht nur in der Arbeiterbewegung waren jedoch schon Ende des 19./Anfang des 20. Jahrhunderts vereinfachte Vorstellungen weit verbreitet. Man war der Meinung, dass alle Geschehnisse im Gang der Geschichte zusammenfließen, dass die Arbeiterbewegung beständig stärker wird und daher zwangsläufig die Arbeiterklasse die politische Macht erringen und den Übergang zu einer solidarischen und gerechten, sozialistischen Gesellschaft in die Wege leiten wird.
Einseitigkeit oder Wunschdenken traten auch beim Aufbau sozialistischer Gesellschaften nicht selten an die Stelle wissenschaftlicher Grundlegung politischer Praxis. Damit und mit den Ursachen dafür müssen sich Kommunistinnen und Kommunisten auseinandersetzen, wenn sie in heutigen Kämpfen mit ihren Positionen überzeugen und sozialistische Zukunftsvorstellungen in die gesellschaftlichen Bewegungen einbringen wollen.
Wer macht Geschichte?
Schon längere Zeit “ergötzen” sich die verschiedensten Medien mit der Feier der so genannten großen Persönlichkeiten, oft unter der Firmierung der Diktatoren-Kritik. Große Männer waren oder sind es, welche die Geschichte machten. Sie allein sind an den großen Tragödien und Verbrechen schuld.
Worin besteht die Funktion dieser Art Geschichtspropaganda?
Erstens darin, die gesellschaftlichen Grundlagen und Hintergründe historischer Prozesse zu verschleiern. Es muss ausgeblendet werden, dass es das deutsche Großkapital und das damals noch recht starke Junkertum waren, die Hitler finanziert und an die Macht schoben. Es muss verschleiert werden, worin die wirklichen Inhalte der räuberischen imperialistischen Politik bestanden. Der Sozialismus wird – meist ohne Unterschied bzw. mit kleinen Nuancen – “dämonisiert”. Ob das den Fabrikanten dieser verlogenen Geschichtspropaganda alles bewusst ist, spielt keine Rolle, es ist der Herren Geist, der sich darin auswirkt.
Es gibt eine zweite Funktion dieser Art Geschichtspropaganda: Wenn es Kaiser, Könige, Führer usw. sind, die die Geschichte “machen”, dann spielen die Völker nur als Knetmasse der Herren eine Rolle. Dann ist es nicht Aufgabe, sich darum zu bemühen, dass die Volksmassen aktiv werden, ihr Geschick selbst in die Hände nehmen.
Wir bestreiten keinesfalls, dass es bedeutende Persönlichkeiten gibt. Doch wer macht Geschichte? Es sind nicht die Einzelnen, so groß ihr Anteil an der geistigen Vorbereitung gesellschaftlicher Veränderungen oder an der Spitze entsprechender Bewegungen auch sein mag. Engels schrieb im Brief an Bloch: ” Wir machen unsere Geschichte selbst, aber erstens unter sehr bestimmten Voraussetzungen und Bedingungen. Darunter sind die ökonomischen die schließlich entscheidenden. Aber auch die politischen usw., ja selbst die in den Köpfen der Menschen spukende Tradition, spielen eine Rolle, wenn auch nicht die entscheidende …
Zweitens aber macht sich die Geschichte so, dass das Endresultat stets aus den Konflikten vieler Einzelwillen hervorgeht, wovon jeder wieder durch eine Menge besonderer Lebensbedingungen zu dem gemacht wird, was er ist; es sind also unzählige einander durchkreuzende Kräfte, eine unendliche Gruppe von Kräfteparallelogrammen, daraus eine Resultante – das geschichtliche Ergebnis – hervorgeht …”
Marx und Engels erkannten Viertens, dass der Klassenkampf die entscheidende Triebkraft aller Klassengesellschaften ist. Damit gingen sie über die Erkenntnisse bürgerlicher Gelehrter hinaus. Die Existenz der Klassen ist an bestimmte historische Entwicklungsphasen der Produktion gebunden, der Klassenkampf ist die notwendige Folge unversöhnlicher Klassengegensätze und daraus resultierender Interessengegensätze zwischen den Grundklassen einer Gesellschaftsformation. Seinen Höhepunkt findet er in der Revolution, den “Lokomotiven der Weltgeschichte” (Marx), die die alte Gesellschaft stürzt. Marx und Engels Revolutionsauffassung kulminierte in der wissenschaftlich begründeten Aussage, dass die sozialistische Revolution die größte und tiefstgreifende Umwälzung der Menschheitsgeschichte ist. Als Hauptakteur sahen sie die Arbeiterklasse, die einer revolutionären Organisation bedarf.
Die dialektisch-materialistische Geschichtsauffassung ist nach wie vor der “Schlüssel” zur Analyse und zur praktischen Veränderung der bestehenden Verhältnisse.
N. Hager, R. Steigerwald
Fragen zum Bildungsthema:
- Was sind die Quellen und Bestandteile des Marxismus?
- Was sind die entscheidenden Entdeckungen von Marx und Engels bezogen auf die menschliche Geschichte?
- Wer macht Geschichte? – Was ist der Inhalt der Marxschen Lehre vom Klassenkampf?
- Bedeutet die Anerkennung objektiver Gesetze der Geschichte eine “Zwangsläufigkeit” bzw. einen automatischen Ablauf historischer Ereignisse und Umbrüche?
- Warum geht der Angriff bürgerlicher Ideologen bis heute vor allem gegen die marxistische Geschichtsauffassung?
- Welche praktisch-politische Bedeutung hat die dialektisch-materialistische Geschichtsauffassung für die sozialen und politischen Kämpfe unserer Zeit?
Grundlagenliteratur:
“Manifest der Kommunistischen Partei”, “Drei Quellen und drei Bestandteile des Marxismus” (Lenin, Werke, Bd. 19 bzw. ausgewählte Werke in sechs Bänden, Bd. II), Programm der DKP