Appell der SDAJ – Mai 1968

Appell der SDAJ – Mai 1968

40 Jahre SDAJ

 

Wir rufen die jungen Arbeiter und Angestellten!

Wir rufen die Schüler und Studenten!

Wir rufen Leute, die Mut genug haben, das anzugreifen, was in unserer Gesellschaft falsch, rückständig, also politisch gefährlich ist!

Die Mut haben, an der Umgestaltung dieses Landes zu einer demokratischen Gesellschaft mitzumachen, in der nicht mehr die Wenigen über die Vielen herrschen.

Wir rufen alle, die vor denen da oben keine Angst haben!

Wir rufen die Aktiven der jungen Generation!

Wir haben am 4./5. Mai in Essen die Gründung einer Sozialistischen Deutschen Arbeiterjugend beschlossen.

Warum gerade am 5. Mai? Weil am 5. Mai vor hundertfünfzig Jahren Karl Marx geboren wurde.

Und warum überhaupt eine Organisation?

Weil uns Einiges auffällt.

Zum Beispiel:

Wenn Löhne abgebaut werden und der Arbeitsplatz nicht mehr sicher ist – wer hat was davon? Wir?

Wenn hinter Regierungstüren Gesetze durchgedrückt werden, die es der Polizei und der Bundeswehr erlauben, auf Arbeiter und Studenten zu schießen wer hat was davon? Wir?

Wenn man ein ganzes Land Tag für Tag mit miesen Zeitungen überschwemmt – mit Zeitungen, die dermaßen blöde machen, dass Leute, die früher einmal vernünftig waren, heute schon wieder nach Hitler und Ordnung und Schutzhaft rufen.

Wer hat was davon? Wir?

Wenn unsere Steuern, also die von uns allen erarbeiteten Gelder, zum größten Teil in die Rüstung gehen oder nach Amerika, damit die Generale in Saigon noch mehr Napalm werfen können – wer hat was davon? Wir?

Wenn dem anderen, dem sozialistischen deutschen Staat, die Existenzberechtigung abgesprochen, wenn die Verständigung der arbeitenden und lernenden Jugend hintertrieben wird ~ wer hat wohl den Nutzen in so einer Sache? Wir?

Wir ganz bestimmt nicht!

Denn das, was uns nützt, schadet denen oben. Und das, was die Machtpositionen der da oben sichert, verunsichert uns.

Das ist ein sehr einfaches uraltes Gesetz, das Klassengesetz der Geschichte.

Und wenn sie uns zehn Mal pro Tag von oben her einreden, dass es bei uns keine Klassengesellschaft mehr gibt – wir glauben ihnen kein Wort mehr.

Wir haben sie durchschaut.

Das Gerede von “Partnerschaft” und “Gemeinwohl” ist nichts weiter als wohl kalkulierter Blödsinn, ein fauler Trick der Mächtigen. Und zwar ein Trick aus Angst!

Denn seht sie euch an: Sie haben Angst vor uns!

Und das zu Recht!

Denn sie kennen sehr wohl jene Kraft, die sich entfalten wird, wenn die Massen ihre Lage erkennen, das heißt: Wenn wir erkennen, dass wir betrogen werden, und wer uns betrügt, und wie wir diesen Betrug abschaffen können.

Sie fürchten sich vor dem Selbstbewusstsein der Massen. Sie fürchten sich schon jetzt bei dem Gedanken, dass wir, deren Arbeitsprodukt sie sich jeden Tag aneignen und deren Hoffnungen sie Tag für Tag einnebeln und verzerren, endlich doch noch aus Schaden klug werden.

Und weil sie sich vor uns fürchten, haben sie ein gesellschaftliches System entwickelt, das uns politisch dumm halten soll – in den Betrieben, in den Schulen, in den Universitäten. Denn sie wissen genau: Wer dumm bleibt, der bleibt auch ängstlich. Und wer ängstlich bleibt, dem kann man leichter befehlen!

Sie wollen uns fertig machen mit ihrem System: fügsam, ausnutzbar, ausbeutbar.

Sie wollen uns unsere Hoffnung zerstören, unsere Hoffnung auf Frieden und Freundschaft mit allen Völkern.

Sie wollen uns unsere Chance auf ein freies vernünftiges Leben, auf eine kühne menschliche Zukunft wegorganisieren mit ihren Notstandsgesetzen, mit ihrer Völkerhetze, mit ihrer Aufrüstung, mit ihrer Gier nach Atomwaffen, mit ihrem Alleinvertretungsanspruch, mit ihrer formierten Gesellschaft.

Und sie organisieren nicht schlecht!

Sie organisieren den Kampf gegen den Fortschritt aus alter Übung, denn wirklicher Fortschritt, dass Selbstbewusstsein der Massen, bedroht ihre Macht, die Macht der herrschenden Klasse.

Das war schon immer so.

Sie wissen Bescheid. Sie organisieren.

Und wir? Wir werden angesichts dieses trainierten Gegners eine Organisation aufbauen, die planmäßig, Schritt für Schritt, den Fortschritt dieser Gesellschaft vorantreibt.

Wir werden erfinderisch werden.

Und wir werden die da oben nicht um Erlaubnis bitten! Wer über ganze Gesellschaften so viel Verrat und Elend gebracht hat, wie sie in den letzten hundert Jahren, der hat uns nichts mehr zu verbieten und auch nichts mehr zu erlauben. Wir rufen deshalb auf zur Organisation der Sozialistischen Deutschen Arbeiterjugend!

Warum aber eine Organisation?

Spontanität, Naivität und einfach nur Lust am Leben sind allein noch kein wirksames Kampfmittel gegen die Unterdrückung von oben. Politischer Mut, der sich nicht entschlossen und mit klarem Kopf organisiert, der nicht das Zusammengehen aller Demokraten anstrebt und sich nicht dem Volke verständlich macht, ist im Endergebnis nicht nur erfolglos, er begünstigt den Gegner.

Diesen Gefallen werden wir unseren Gegnern nicht tun.

Wir werden uns nicht mehr verzetteln in Einzelaktionen.

Wir werden gemeinsam für unsere gemeinsamen Forderungen kämpfen.

Wir werden das, was uns trennt, im Interesse der gemeinsamen Sache zurückstellen, weil unsere Uneinigkeit den Mächtigen nützt.

Unser spontaner Kampf gegen das Unrecht wird von nun an organisierter Kampf sein.

Unser spontaner Kampf für den Fortschritt der menschlichen Gesellschaft wird von nun an organisierter Kampf sein.

Unser spontaner Kampf für die Grundrechte wird von nun an nach innen der organisierte Kampf für die Achtung und den Ausbau unseres Grundgesetzes sein, nach außen die kämpferische Solidarität mit den internationalen, demokratischen und sozialistischen Bewegungen.

Alle unsere Forderungen sind Punkt für Punkt verankert in den Texten unseres Grundgesetzes.

Wir rufen die jungen Arbeiter und Angestellten!

Wir rufen die Schüler und Studenten!

Kämpft mit uns für das Recht der Jugend auf Mitbestimmung in Betrieb und Schule, in Staat und Gesellschaft. Kämpft mit uns gegen den Neonazismus, gegen seine Hintermänner und Nutznießer.

Kämpft mit uns für den Frieden, für die Freiheit des vietnamesischen Volkes.

Kämpft mit uns für Frieden in Deutschland.

Gemeinsam sind wir unaufhaltsam!

(Dieser Appell wurde auf dem Gründungskongress der Sozialistischen Deutschen Arbeiterjugend am 4./5. Mai 1968 in Essen beschlossen.)

 

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