An den neuralgischen Punkten anzusetzen, die den Menschen in besonderem Maße auf den Nägeln brennen
Die DKP hat eine Bildungszeitung unter dem Titel “Faschismus kommt nicht von den Faschisten” veröffentlicht, in der sie ihre antifaschistische Strategie absteckt. Der Titel legt nahe, dass Faschismus eine Hervorbringung tiefliegender Ursachen ist. Das erinnert an die Worte des Vertreters der Kritischen Theorie Max Horkheimer, der einst sagte: “Wer vom Kapitalismus nicht reden will, sollte vom Faschismus schweigen.”(1)
Die DKP-Bildungszeitung betont in der Vorbemerkung, dass die ” Ursache des deutschen Faschismus als Bewegung und als System der unbändige territoriale Expansionsdrang des deutschen Monopolkapitals” war. In der Tat jubelten Konzernvertreter über die Strategie der Nazis, Lebensraum im Osten zu erobern; aber eine zentrale Motivation sogenannter Ruhrbarone und Stahl-Industrieller, die NSdAP in ihrem Aufstieg mit Spenden stark zu machen, lag in deren Gegnerschaft zu revolutionären Kräften, vor allem der KPD. Monopolkapital war keine rein deutsche Erfindung, und so wäre die Behauptung zu untersuchen, dass es in der Weimarer Republik einen “unbändige(n) territoriale(n) Expansionsdrang” auf Seiten des Kapitals gab, der in anderen kapitalistischen Staaten wie den USA, Frankreich und Groß Britannien nicht gleichermaßen vorlag. Die Vorbemerkung in der DKP-Bildungszeitung endet mit der Formulierung “Der rechte Protest markiert keine neuen Feindbilder, sondern er übernimmt die Ideologien und die Feindbilder der Monopolbourgeoisie. Dann allerdings drängt er auf eine Brutalisierung des Kampfs gegen diese Feinde.” (2) Der Monopolbourgeoisie wird hier ein einheitlicher ideologischer Standpunkt zugeschrieben, zu dem Feindbilder wie die der Nazis zählen, also eine gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit, wie sie im Antisemitismus, in der Islamophobie und im Rassismus im Allgemeinen auftritt. Darauf aufbauend kommt die Bildungszeitung in ihrer abschließenden Zusammenfassung zu der Aussage, dass “… die Parteien der ‘bürgerlichdemokratischen Mitte’ und die Faschisten letztlich die gleichen Ziele verfolgen, und auch gar nicht anders können, da sie nun mal alle Akteure der monopolkapitalistischen Klassenherrschaft und dessen Staates sind, ist hier richtig beobachtet. Ebenso zu Recht wird erkannt, dass der Weg des ‘kleineren Übels’ (also z. B. den Weg der Sozialdemokratie der Weimarer Republik, in der Absicht, einen Hitler zu verhindern erst einen Brüning, dann einen Hindenburg zu un terstützen) unweigerlich dazu beiträgt, schließlich doch jegliches – auch das größte Übel – zu erhalten. Aber diese Antwort leidet unter dem gleichen Hinwegsehen über den klassenmäßigen Ursprung und den Charakter der Angriffe auf die demokratischen Rechte.” (3)
In der Tat finden Rechtsentwicklung und Angriffe auf demokratische Rechte in der Klassengesellschaft statt, in der Kapitaleigner in der Konkurrenz mit Kapitaleignern ihre Rendite zu steigern bestrebt sind, während immer mehr von Lohn abhängige Anbieter*innen von Arbeitskraft in Existenzunsicherheit und Angst vor lebenslanger Chancenlosigkeit leben.
Diese Situation weist bei vielen epochalen Unterschieden bezüglich der Unsicherheit und Angst Ähnlichkeiten mit der Situation vor dem deutschen Faschismus 1933 auf. Prof. Reinhard Kühnl schrieb in ‘Formen bürgerlicher Herrschaft’: “Die politische Funktion der faschistischen Bewegung lässt sich nach den bisherigen Analysen wie folgt charakterisieren: Der Weltkrieg hatte Millionenmassen auf die Bühne der Geschichte gestellt, die sich nach 1918 nicht mehr ohne weiteres in ein beschauliches privates Dasein zurückdrängen ließen. Die revolutionären Ereignisse von 1917 bis 1923 hatten den Massen demonstriert, daß der Kapitalismus nicht unangreifbar war. … Angesichts solcher Umstände bestand wenig Aussicht, mit den herkömmlichen Mitteln noch eine Massenbasis für das System zu finden, die auch in Krisenlagen zuverlässig blieb. … Die faschistischen Bewegungen stellen … die ‘moderne, volkstümlich maskierte Form der bürgerlich-kapitalistischen Gegenrevolution’ dar. … Dass diese Aussage … nicht mit der These vom Faschismus als dem Agenten des Kapitals zu verwechseln ist”, betont Reinhard Kühnl hier.(4) Das Kapital bewegt sich in Fraktionen und in Konkurrenzverhältnissen, es ist ,abgesehen von unterschiedlichen Situationen, die im Kampf der Klassen um Veränderungen vorkommen kein ideologisch durchgängig monolithisches Subjekt. In der Verhinderung einer Revolution kann es allerdings weitgehend gemeinsam zum Faschismus als Mittel der Systemsicherung greifen. Der Antikommunismus eint Kapitalismus-Profiteure unabhängig von anderen Differenzen. Ihn vertreten allerdings nicht alle Mitglieder bürgerlich-demokratischer Bewegungen.
Entsprechend ist eine in den Zielen erkennbare Gemeinsamkeit der sogenannten bürgerlichen Mitte mit Faschisten, wie sie die DKP-Bildungszeitung nahelegt, nicht durchgängig gegeben. Diese Position übersieht zudem wichtige Unterschiede wie die Bedeutung einer demokratischen Staatsstruktur, die sich von einer Diktatur grundlegend abhebt und die antikapitalistischen Bewegungen Raum gibt. Dies darf nach dem Ende der Weimarer Republik in Deutschland nicht noch einmal gering geschätzt werden, und es ist im antifaschistischen Engagement zu verteidigen – gemeinsam mit bürgerlich-demokratischen Kräften, die noch Illusionen in den von ihnen ‘Markt’ genannten Kapitalismus hegen. Hier sind Aufklärung und gemeinsame Erfahrungen politischen Engagements wichtig.
Kritiker*innen der DKP-Bildungszeitung, darunter neben dem Autoren dieses Artikels einige führende DKP-Mitglieder verweisen auf die Zeit vor 1933:
“… immer war da noch der Glaube, dass auch der Kampf um die volle Macht des Proletariats unmittelbar anzustreben wäre. Erst im Februar 1933 sagt Thälmann im illegalen Flugblatt: Kampf für die Reste der demokratischen Freiheiten.
Warum erinnern wir daran?
Weil in der Bildungszeitung der Vorrang des Kampfes gegen das Kapital gegenüber dem Kampf um die Demokratie und gegen den Faschismus gepredigt wird. Sie predigt die revolutionäre Ungeduld. Kampf um Demokratie sei Opportunismus und bloße Verteidigung des kleineren Übels. Denn die bürgerlich-demokratische Mitte und die Faschisten hätten letztlich die gleichen Ziele.” (5)
Die KPD hatte 1945 viel zu spät nach all dem Blutzoll, den sie und andere Kräfte des Widerstands gegen den Faschismus zu beklagen hatte, erkannt: “„Wir sind der Auffassung, daß der Weg, Deutschland das Sowjetsystem aufzuzwingen, falsch wäre, denn dieser Weg entspricht nicht den gegenwärtigen Entwicklungsbedingungen in Deutschland. Wir sind vielmehr der Auffassung, daß die entscheidenden Interessen des deutschen Volkes in der gegenwärtigen Lage für Deutschland einen anderen Weg vorschreiben, und zwar den Weg der Aufrichtung eines antifaschistischen, demokratischen Regimes, einer parlamentarisch-demokratischen Republik mit allen demokratischen Rechten und Freiheiten für das Volk“. (6)
Diese Freiheiten und Rechte des Volkes, das überwiegend aus der Klasse der Lohnabhängigen besteht, eröffnen relativ zu Diktaturen gesehen leichtere Wege zu Reformschritten und zu Möglichkeiten einer Neuordnung des Systems, also im Sinne einer Umwälzung ist das in letzter Konsequenz eine Revolution ohne Gewalt. Es geht in einer solchen Vorgehensweise nicht darum, sich mit dem System zu arrangieren, sondern es geht darum, an den neuralgischen Punkten anzusetzen, die den Menschen in besonderem maße auf den Nägeln brennen und die Aussicht auf Verbesserungen eröffnen. Mit einer Massenbasis, die auf demokratische Veränderungen in der Ökonomie und allen darauf aufbauenden gesellschaftlichen Sphären abzielt, kann das große Bündnis aus der Erfahrung der deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts lernen und nicht gleich alle Angehörigen von Parteien der ‘bürgerlichen Mitte’ aus der Bündnisarbeit mit der Begründung fernhalten sie würden sich in den Zielen mit Faschisten gemein machen.
Es darf nicht sein, dass die Linke sich mit einer lupenreinen theoretischen Position bündnispolitisch der Aussicht auf realen Erfolg entledigt. Es geht um die Verantwortung, auf eine Revolution der Lebensverhältnisse mit einer differenzierten Analyse und mit bündnispolitischer Weitsichtigkeit hinzuarbeiten, damit die Menschheit, die Ökologie und damit die junge Generation eine Chance auf eine Zukunft ihrer Gegenwart hat, in der das Leben fruchtbar weiter geht und nicht zerstört wird.
(1) https://hozir.org/max-horkheimer-1939.html
(2) https://www.unsere-zeit.de/neue-dkp-bildungszeitung-ist-erschienen-134217/
(3) ebenda
(4) Reinhard Kühnl, Formen bürgerlicher Herrschaf, Reinbek 1971, hier S. 117 und mit einem Zitat von Rosenberg, Der Faschismus als Massenbewegung
(5) https://www.unsere-zeit.de/bitte-nicht-diese-bildungszeitung-136309/
(6) https://www.1000dokumente.de/index.html/index.html?c=dokument_de&dokument=0009_ant&object=translation
Bernhard Trautvetter, Essen