Auschwitz sollte im Jugoslawienkrieg verhindert werden

Auschwitz sollte im Jugoslawienkrieg verhindert werden
Gefahr der Umdeutung des Antifaschismus durch die Herrschenden

Zuerst waren wir nur irritiert, dann erschrocken über diesen Brief mehrerer DKP-Mitglieder zur Bildungszeitung. (Es gibt noch eine weitere, ähnliche Stellungnahme auf der Website der DKP, auf die wir nicht näher eingehen, auch deshalb, weil sie voller Unterstellungen ist und zuerst eine Latte Richtigstellungen angesagt wäre.) Irritiert waren wir auch, weil bei beiden Schreiben das Programm ins Felde geführt wird und vor allem, wie es dabei ins Felde geführt wird, nämlich drohend. Wenn ein Bildungsheft nicht über das Programm hinausgehen kann, sollte man das Programm verschicken. Und dieses bliebe dann immer, wie es war und würde nie weiterentwickelt.

Beim zweiten und dritten Male lesen fragt man sich dann, was diese Kommunisten so in fassungslosen Schrecken versetzt, dass sie einen dermaßen hysterischen und moralisierenden Brief schreiben. Ist es die Einschätzung des bayrischen Verfassungsschutzes, dass die VVN „alle nicht-marxistischen Systeme – also auch die parlamentarische Demokratie – als potenziell faschistisch, zumindest aber als eine Vorstufe zum Faschismus betrachtet“? Sehen die Verfasser darin etwa die Gefahr, die BZ könnte dies untermauern? So scheint es wohl zu sein, sonst wäre eine solche Gereiztheit in einer Stellungnahme kaum zu erklären. Interessanterweise wird dieser Angriff auf die VVN (synchron mit der Berliner Finanzverwaltung) tatsächlich als Aufforderung begriffen, doch bitte den bayrischen Verfassungsschutz nicht mit neuer Munition zu versorgen (die BZ stimme dem VS indirekt zu, das könne man nicht gebrauchen). Zumindest kann man dies so lesen.

In der BZ werde der Vorrang des Kampfes gegen das Kapital gegenüber dem Kampf um Demokratie und gegen den Faschismus „gepredigt“ (dazu später mehr). Hier ist eine Zwischenbemerkung angebracht: Die BZ hat uns vor allem angesprochen, weil sie überhaupt nicht „predigt“, sondern sehr sachlich erörtert und zu begreifen und zu vermitteln versucht, wie reaktionärer Staatsumbau stattfindet, warum und von wem. Das ist für ein so wenig umfangreiches Format eine anspruchsvolle Zielsetzung und gut gelungen, auch wenn es natürlich Kritikpunkte und Schwächen gibt. Soweit diese Zwischenbemerkung. Die BZ hat hingegen gerade die Dialektik von Kampf um Demokratie und Kampf um Sozialismus bzw. gegen das Kapital betont, und zwar zum Schluss, wenn auch nur blitzlichtartig. Aber sind es nicht gerade die Unterzeichner, die genau an dieser Stelle Probleme haben? Ist nicht der Kampf um Demokratie vom Kampf gegen das (Monopol-)Kapital überhaupt und in keiner Phase zu trennen, weil Demokratie nur gegen das Monopolkapital errungen werden kann und demokratische Rechte nur gegen das Monopolkapital gesichert werden können. Das ist der dialektische Zusammenhang, der in dem Brief völlig auseinandergerissen wird; und diese Dialektik ist keine starre, immer gültige, dann wäre sie ja auch keine Dialektik. Ihre genaue Ausprägung ist in jeder historischen Situation zu erkunden, zu durchdenken und zu begreifen. Und in Politik umzusetzen! Dabei kann man aus der Situation von 1933, von Thälmann und vom VII. Weltkongress lernen und muss es. Aber man kann die Erkenntnisse von 1933 auf keinen Fall formal übertragen. Diese Dialektik ist kein Schema, man kann sie im Gegenteil nur erfassen und nutzen, wenn man die Fakten und Einzelentwicklungen kennt. Zum Beispiel, um nur einige zu nennen: Welche Rolle spielen die Medien? Es ist eine andere Rolle als 33 und anders als Anfang der Achtziger! Die Think Tanks? Wie wird rechte Ideologie produziert und camoufliert? Welche Rolle spielen linke Ideologien im Konzept der Herrschenden? Feminismus? Gleichstellung? Ökologie? Frieden? Und neuestens, Klaus Wagener hat darauf hingewiesen: Antisemitismus und der Antifaschismus?

Das Muster, das in diesen Strategien der Herrschenden sichtbar wird, die Art und Weise, wie diese Themen aufgegriffen, umgedeutet und dann gepuscht werden, muss durchschaut und durchkreuzt werden; das ist entscheidend im Kampf gegen den reaktionären Staatsumbau. Diese Pflicht zur Analyse hat vor allem die Kommunistische Partei, die den Marxismus zur Verfügung hat. Wer sollte das sonst tun? Hier Klarheit zu schaffen, das ist ihre Rolle. Und ihre Rolle ist es auch, diese Klarheit in die Bewegungen und in die Bevölkerung zu tragen. Und genau dabei kann sie auch ihr Profil schärfen. Die Unterzeichner des Briefes scheinen uns dagegen lieber das Profil verwischen zu wollen. Aber da lesen wir zwischen den Zeilen, und das ist immer ein Wagnis.

Zu Klarheit gehört auch, was Luciano Canfora in seinem schmalen Band „Eine kurze Geschichte der Demokratie“ analysiert hat. Im Italienischen heißt der Titel sinngemäß: Demokratie. Geschichte einer Ideologie“. Wir können die Zusammenfassung diese Buches nicht wiedergeben, nur darauf hinweisen, dass es sich zu lesen lohnt. Canfora weist jedenfalls nach, dass die Demokratie als Volksherrschaft bei den bürgerlichen Philosophen und Ideologen durchaus unbeliebt war. Und sie wird von diesen – zu Recht – in Gegensatz zur „Freiheit“ gestellt. Freiheit, sagt Toqueville, ist nur möglich mit Sklaverei. Freiheit für alle gibt es nicht. Wenn die Starken frei sind, müssen die Schwachen Sklaven sein. Wenn keine echten, so dann doch mindestens Lohnsklaven, die sich mit mehr oder weniger festen Verträgen „freiwillig“ für einen bestimmten Zeitraum (8 Stunden pro Tag) als Sklaven verkaufen. Eine Gesellschaft, die auf Lohnsklaverei beruht, kann niemals eine wirkliche Demokratie sein. Ist es daher angebracht von unserer Seite aus von Verteidigung der Demokratie zu sprechen? Oder muss es nicht heißen Verteidigung demokratischer Rechte, weil wir ansonsten der Ideologie der anderen Seite schon auf den Leim gegangen sind? Und ist Kampf um die Demokratie nicht Kampf gegen die Lohnsklaverei und damit für den Sozialismus? Sozialismus als die wirkliche Demokratie!

Der Begriff Demokratie wird dann auch erst „populär“ bei den Herrschenden, als sie ihn als Gegenmodell zum Sozialismus aufgebaut haben. Freie Wahlen sind der ideologisch überhöhte zentrale Inhalt. Gerade wird sie wieder gegen ein Land in Angriffsstellung gebracht: gegen Belarus. Darf man nach Meinung der Unterzeichner die Frage noch stellen, ob ein Autokrat, der die Interessen der Bevölkerung als erstes im Auge hat, vielleicht demokratischer ist, als eine ach so frei gewählte Regierung, wie die unsere, die in erster Linie die Interessen des Monopolkapitals bedient? Oder spielt man damit dem Verfassungsschutz in die Hände? Darf auf den Gedanken Rosa Luxemburgs, dass die Revolution der größte demokratische Akt des Volkes sei, noch hingewiesen werden?

Oder muss man aufpassen, was man sagt und schreibt? Weil in diesem Lande von Revolution nicht gesprochen werden darf? Weil der Antikommunismus den Faschismus überlebt hat und weiterhin Staatsdoktrin ist? Die KPD ist weiterhin verboten. Kampf um demokratische Rechte hieße doch: Kampf um Aufhebung des KPD-Verbots. Wir finden dies überfällig. Denn solange der Antikommunismus unangefochten herrscht und das KPD-Verbot wie ein Damoklesschwert über den Köpfen aller radikalen Linken hängt, lebt es sich für diese gefährlich. Das nehmen die Unterzeichner durchaus richtig wahr.

Nochmal zum Thema Antifaschismus, der gerade von den Herrschenden gekapert werden soll: In diesem Zusammenhang fanden wir die Überschrift „Faschismus kommt nicht von den Faschisten“ so erfrischend und sie war für uns überhaupt ein Anstoß, uns diese BZ zu Gemüte zu führen. Denn hierin besteht doch die Crux, oder eine der vielen Crucis! Wenn einerseits die Gegendemo gegen ein paar Glatzen gleich der antifaschistische Kampf an sich ist,und sich darin gern erschöpft, wenn der Ruf „Nazis raus“ das Problem offenbar nur nach „außen“ verlagern soll, statt es „systemisch“ als Teil des Antagonismus zu begreifen, und wenn andererseits Steinmeier den Antifaschismus lobt und heldenhaft gegen Antisemitismus kämpft, wenn Heiko Maas zur Demo #wir sind mehr aufruft und viele Linke mitlatschen, weil sie, wie all die anderen Demonstrierenden gegen Fremdenfeindlichkeit sind, ohne ein kritisches Wort dazu zu sagen, und wenn die Vereinnahmung des Antifaschismus nicht als die andere Seite der Aberkennung der Gemeinnützigkeit der VVN erkannt wird, dann ist etwas Entscheidendes nicht durchschaut.

Die auch in der BZ aufgeführte demagogische und ideologische Aufladung des Begriffes „Demokratie“ soll doch deutlich machen, dass der deutsche, der europäische, der us-amerikanische, japanische, australische… Imperialismus mindestens seit dem Jugoslawienkrieg die Vorkämpfer der Demokratie und vor allem der Menschenrechte sind! Musste nicht Auschwitz in Jugoslawien verhindert werden? Wurde nicht der Frauenbewegung mit dem Aufschrei, die Serben würden Massenvergewaltigungen durchführen, das Maul gestopft? Mussten nicht die Afghaninnen von patriarchaler Unterdrückung befreit werden? Der Weg in den Menschenrechtsimperialismus (zu dem, das sei nur am Rande bemerkt, auch Merkels „wirschaffendas“ gehört) steht nicht nur den Grünen und der Linken offen, auch die DKP kann darin aufgehen, wenn sie nicht aufpasst! Zumindest muss man aufpassen, mit wem man denn für die demokratischen Rechte kämpft! Wer sind denn die Partner? Die BZ sagt, es gebe auch in der Mitte der Gesellschaft noch kritische Kräfte, die nicht dem Neoliberalismus verfallen sind. Sie geht nicht näher darauf ein, denn was man beschreiben müsste, wäre ein Jammertal! Kann man ernsthaft mit Maas, Habeck, Göring-Eckart und Kühnert zusammen marschieren? Bei ganz konkreten Forderungen, gegen die aktuellen Polizeigesetze zum Beispiel, kann das möglich, ja notwendig sein. Aber bei #wirsindmehr? Da meinen wir: auf keinen Fall! Aber das genau muss geklärt werden.

Wir kommen nun darauf zurück, dass die Unterzeichner des Briefes nicht zuletzt einen Fehler darin sehen, den „Vorrang des Kampfes gegen das Kapital gegenüber dem Kampf um Demokratie und gegen den Faschismus“ zu proklamieren. Kampf um Demokratie sei Opportunismus und bloße Verteidigung des kleineren Übels. (Gegen letztere Aussage argumentiert die BZ ausdrücklich, ist das den Unterzeichnern entgangen?) Wir haben oben argumentiert, dass der Kampf um Demokratie nur gegen das Monopolkapital geführt werden kann, und die BZ tut das umfassend. Aber gerade daraus ergibt sich für Kommunisten eine besondere und doppelte Verpflichtung. Denn der Kampf um demokratische Rechte ist zahnlos und leicht vereinnahmbar durch die Herrschenden (wie wir ständig erleben), wenn die Arbeiterklasse als Ganzes abseits steht, allenfalls Einzelne dabei sind. Wenn sie nicht versteht, dass alle Angriffe auf demokratische Rechte, alle Polizeigesetze und alle Förderung und Pflege von Nazigruppen letztlich gegen die Kampfkraft der Arbeiterklasse gerichtet ist, wie an den Gelbwesten in Frankreich zu besichtigen ist. Und daraus folgt: Die hochgelobte Bündnispolitik der Kommunisten ist eine leere Hülle, wenn diese nicht als Kern jedes! Bündnisses die Arbeiterklasse gewinnen will. Aufklärung der Arbeiterklasse, die Bewusstmachung ihrer Lage und Rolle – auch im Kampf um Demokratie – das ist die eigentliche, zugegeben nicht einfache Aufgabe der Kommunisten. Seit wir wieder die UZ lesen, hatten wir den Eindruck gewonnen, dass dies deutlicher erkannt worden ist als früher.

Der Linken. wirft man zurecht vor, sie mache sich überflüssig, wenn sie über aller Identitätspolitik die soziale Frage vergisst. Auch die DKP kann Gefahr laufen, sich überflüssig zu machen, wenn sie in der Menge der Kämpfer um Demokratie aufgeht und die Revolution als Grundlage wirklicher Demokratie nicht mehr proklamiert. Und der Vorwurf revolutionäre Ungeduld zu predigen? Ein wenig mehr revolutionäre Ungeduld stünde der DKP gut zu Gesichte!

Christel Buchinger
Thomas Hohnerlein
Medelsheim (Saarland)

 

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