Altes und Neues zur Formierten Gesellschaft
Die Bildungszeitung (BIZ) befasst sich – wie der Untertitel zeigt – mit den Themen Integration, Formierung und Manipulation. Ein wesentlicher Gesichtspunkt hierbei ist die Frage, wie es einer kleinen Elite gelingen kann, ihre (Profit-)Interessen gegen die Mehrheit der Bevölkerung durchzusetzen. Dazu gehört, dass der Begriff „Demokratie“ herrschaftskonform gedeutet wird. Der Spruch von Angela Merkel von der „marktkonformen Demokratie“ ist eine eindeutige Interpretationsvorgabe. Es dient dazu die Definitionshoheit über den Begriff „Demokratie“ zu halten und damit alles, was im Sinne des Kapitals vom bürgerlichen Staat an Maßnahmen ergriffen wird, als alternativlos darzustellen.
In dieser Logik erfolgt der Abbau demokratischer Rechte im Namen der Demokratie. Die Bildungszeitung positioniert sich deshalb entschieden gegen das Aufpflanzen von „Demokratie“ als leerer Worthülse. Es ist schlichtweg Unfähigkeit zu lesen oder bösartige Unterstellung, wenn behautet wird, die BiZ „predige“ (???) die revolutionäre Ungeduld und lehne den Kampf um demokratische Rechte ab. Ausdrücklich wird gesagt, dass es unsere Aufgabe ist, die demokratischen Rechte gegen die Angriffe des Monopolkapitals zu verteidigen und dass das gerade keine Frage des kleineren Übels ist.
Die Herrschenden wissen sehr wohl, wie wichtig es ist, Denken und Handeln der Bevölkerung in ihrem Sinne auszurichten. Eine aktuelle „Sonderausgabe des Munich Security Report zur deutschen Außen- und Sicherheitspolitik“ vom Oktober 2020 trägt den Titel „Zeitenwende / Wendezeiten“ und befasst sich ausführlich auch mit der Frage – auf der Basis eines Framing-Experiments (sic!) -, wie man die immer noch arg friedfertig eingestellte Bevölkerung für die neuen Weltmachtoptionen Deutschlands beeinflussen kann.
Das ist schon geraume Zeit auf der Agenda der deutschen Politik. Mit einer Ausarbeitung der Wissenschaftlichen Dienste (WD) des Bundestages aus dem Jahr 2019 (WD 1 – 3000 – 016/19) wird das „Konzept der `Formierten Gesellschaft´ nach Ludwig Erhard vorgestellt, das „Ende der 1950er / Anfang der 1960er Jahre unter dem Eindruck der beginnenden wirtschaftlichen Stagnation entwickelt (wurde), die nach den `Wirtschaftswunderjahren´ … als existentielle Systemkrise wahrgenommen wurde“.
Die DDR nahm dieses Konzept der Formierung in der BRD als Reaktion auf die ökonomische Krise sehr wohl wahr und analysierte sie, u.a. bei einer wissenschaftlichen Konferenz im Jahre 1965. Dabei wurde aus der Rede von Ludwig Erhard beim 13. Parteitag der CDU (1965) zitiert: „Wenn ich zum innenpolitischen Teil unseres Programms für Deutschland von der Notwendigkeit gesprochen habe, bewußt den Schritt zu einer Formierten Gesellschaft zu tun, dann habe ich dabei zugleich und nicht minder an die Grundlage unserer Außenpolitik gedacht. … Eine wirksame deutsche Außenpolitik bedarf … heute mehr denn je der inneren Geschlossenheit unseres Staatswesens und einer hohen wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit. Je deutlicher sich die Bindung des deutschen Volkes an seinen Staat, an sein Vaterland ausprägt, je gesammelter und geschlossener sich Deutschland der Welt präsentiert, um so mehr wird diese bereit sein, uns zu verstehen.“
Mit der BiZ wird der Partei Material an die Hand gegeben, aktuelle Entwicklungen einzuordnen. Die Ausarbeitungen des Parteivorstands zum Thema Krise (siehe Referat bei der PV-Tagung) und die BiZ bilden hier eine Einheit. Das Thema der Massenbeeinflussung nur als Frage der Manipulation abzutun zeigt von bürgerlichem Denken. Es ist historisch gesehen eine brennende – Kurt Pätzold nennt es „die quälende Thematik der Massenbasis des Faschismus“ – und eine aktuell in vielen linken Diskursen behandelte Problematik, nicht zuletzt auf dem Hintergrund der „Corona-Demos“.
Unsere Partei gibt mit der BiZ darauf eine Antwort, die über (wichtige, aber nicht ausreichende) sozialpsychologische Bearbeitungen hinausgeht, weil sie das Thema klassenmäßig analysiert. Dagegen eine Liste von Themen in Stellung zu bringen, die sie noch hätte behandeln müssen und die die Partei schon immer so und nicht anders behandelt hat ist völlig unbehelflich. Ich würde mir wünschen, dass die Partei die Diskussion über die Handreichung ihres Parteivorstandes unter dem Gesichtspunkt der Nützlichkeit führt und nicht Likes und Dislikes verteilt werden noch bevor die Genossinnen und Genossen in den Grundorganisationen auch nur angefangen haben mit der Diskussion.
Ursula Vogt