Regierungsamtlicher Antifaschismus

Regierungsamtlicher „Antifaschismus“: neoliberales Hauptintegrations-Theorem

Bemerkungen zur Bildungszeitung und zu Reaktionen darauf

 

Es hat harsche Kritik an der Bildungszeitung H2/2020 (im weiteren BZ) gegeben. Sie befände sich „konträr zu allem (…), was KPD und DKP seit 1945 zum demokratischen Kampf aussagten, ja auch was für die KPD und die internationale Arbeiterbewegung seit 1933 die grausame Lehre der Geschichte bedeutete.“ Da das Thema in der Tat „für uns Kommunisten große Bedeutung hat“, wie die BZ betont, habe ich es für gerechtfertigt gehalten, einige Bemerkungen niederzuschreiben.

Vorweg, ich habe mit beiden Texten einige Probleme, möchte aber betonen, dass ich das Bemühen um die Erarbeitung einer theoretischen Position zu den uns täglich begegnenden Faschisierungstendenzen ausgesprochen wichtig und verdienstvoll finde. Die BZ trägt eine Menge wichtiger Erkenntnisse und Positionen vor. Ich vermag die von den Autoren des „Briefs von Leserinnen und Lesern an die UZ“ (im folgenden Brief) formulierte Fundamentalkritik nicht nachzuvollziehen.

Die Erklärung von Ziegenhals ist eine Erklärung nach der Machtübertragung an den deutschen Faschismus. Eine solche oder ähnliche Lage ist heute m.E. nicht gegeben. Die bedrohliche Faschisierung, die heute in allen wichtigen kapitalistischen Staaten zu erkennen sind und die mit Vorbeugehaft, Zensur, Militarisierung der Bürgerkriegspolizei, einer Massen-Überwachung, -Kontrolle und -Beeinflussung, die alles weit in den Schatten stellt, was der Faschismus je vermochte, der neoliberalen und bellezistischen Synchronisierung der Bundestagsparteien (einschließlich weiter Teile der PdL) sowie einer ebenso perfekten Gleichschaltung der Kartell-Medien in allen wichtigen Themengebieten kommt nicht von einer, sozusagen vor der Tür stehenden NSDAP, sondern aus dem Zentrum der gegenwärtigen, etablierten Machtapparate.

Leider, und es ist wirklich sehr bedauerlich, das feststellen zu müssen, sind es häufig führende Sozialdemokraten, welche, wie beim ersten Krieg vom deutschen Boden nach 1945, oder bei der Aufrüstung der inneren Repression, die Dinge energisch vorantreiben.

Die Schwäche der BZ ebenso wie die des Briefs ist m.E. eine scholastische, wenig die historische als auch die gegenwärtige Situation analysierende Darstellung. Richtigerweise wird Lenins Erkenntnis des Zusammenhangs von Imperialismus und der Tendenz zur Reaktion und zum Krieg dargestellt. Lenin schreibt allerdings 1916. Mitten im I.WK. Sein Bemühen gilt der anti-imperialistischen Front, der Verwandlung des Krieges in eine proletarische Revolution, wie sie die II. Internationale noch in Basel 1912 vertreten hat und wie sie die Bolschewiki 1917 tatsächlich durchsetzen und wie sie in Westeuropa aufgrund des sozialdemokratischen Burgfriedens letztlich ausbleibt.

Aber wenn betont wird, dass der „Faschismus (…) nicht von den Faschisten“ kommt, so ist das allenfalls ein kleiner, wenig aussagekräftiger Teil der Wahrheit. Will man, wie Lenin, letztlich polit-ökonomische Ursachen und politisch-strategische Entscheidungen ausfindig machen, kommt man um die Analyse der aktuellen Situation und eine Antwort auf die Frage woher und von welchen Akteuren die schleichende Faschisierung heute tatsächlich kommt nicht umhin, und kann nicht bei Erkenntnissen von 1916 oder 1933 stehen bleiben.

In der gebotenen Kürze: Die Situation der imperialistischen Mächte hatte sich mit Beginn der Weltwirtschaftskrise 1929 drastisch geändert. Angesichts der eigenen Schwäche und der Erfolge des Roten Oktober und der Stärke der Sozialisten und Kommunisten in den kapitalistischen Hauptstaaten zogen die herrschenden Klassen in einer Reihe von Staaten die Option der Machtübertragung an die offen faschistischen Schläger-Trupps. In den faschistischen und militaristischen Hauptstaaten Deutschland und Japan, und in gewisser Weise auch in Italien, war diese Faschisierung allerdings auch mit einem imperialistischen Projekt verbunden.

Der schon von Bülow 1897 geforderte „Platz an der Sonne“ war 1914-18 nicht erreicht worden. Der zweite Anlauf musste „totaler“ ausfallen als das „Hindenburgprogramm“ von 1916. Der „Totale Krieg“, die kriegerische Vereinigung Europas bis zur A-A-Linie (Archangelsk-Astrachan) konnte keine Sozialisten und Kommunisten gebrauchen. Aber wie auch heute in Corona-Zeiten brauchte man auch damals einen Sündenbock, die Juden, die man nebenbei auch zu Finanzierung der alten und neuen „Elite“ ausplündern, „arisieren“ konnte.

Nach 1945 hatte sich die Lage wiederum drastisch geändert. Auch der zweite Versuch den „Platz an der Sonne“ zu erobern, war gescheitert. Die US-Army rettete die deutsche und westeuropäische Monopolbourgeoisie gerade noch rechtzeitig vor der Verstaatlichung. Aus dieser Schwäche-Phase stammt auch das, nach 59 Änderungen nun nur noch in Rudimenten vorhandene, in wesentlichen Kernaussagen in sein Gegenteil verkehrte Grundgesetz.
Inwieweit dieser Grundgesetz-Torso tatsächlich noch ein Bollwerk gegen die schleichende Faschisierung darstellt, wie der Brief behauptet, kann m.E. durchaus diskutiert werden. M.E.: bedingt ja. Aber auch ein Nein könnte gute Gründe geltend machen. Freedom & Democracy unter der Herrschaft der Wall Street und der US-Kriegsmaschine galten allerdings nur bis 1989/91.

Nach 74 Jahren hatte der letztlich totgerüstete Rote Oktober aufgeben müssen. Der Kampf gegen den Sozialismus/Kommunismus, der eines der wesentlichen Momente des Faschismus der 1930er/40er-Jahre gewesen war existiert nicht mehr. Der Deutsche Imperialismus konnte sich wieder auf sein altes Europa-Projekt konzentrieren. Nun allerdings, unter der Herrschaft des neoliberal-globalisierten Finanzkapitals, ohne Guderians Panzerarmeen. Stattdessen mit seiner Zentralbank und einem zu diesem Zweck konstruierten Euro. Der Euro hinterlässt zwar in einigen Staaten ähnlich Verwüstungen wie seinerzeit die faschistischen Besatzer, allerdings vollzieht sich dieser „totale Krieg“ nach Innen wie nach Außen wesentlich geräuschloser.

Er kommt statt in Knobelbechern in einem so modernen Gewand daher, dass es den meisten Zeitgenossen hierzulande überhaupt nicht auffällt. Die Herstellung der „Heimatfront“, wenn man diesen militarisierten Begriff tatsächlich verwenden will, ich würde eher von kulturell-ideologisch-politischer Integration sprechen, vollzieht sich im medialen Dauerfeuer der sich im Endkampf wähnenden Kartellmedien von Tagesschau über Dschungelcamp bis Facebook. Die medial-monetaristische Strategie des Finanzkapitals prägt auch den inneren Faschisierungsprozess.

Die Phase der sozial-ökonomischen Nachkriegs-Integration, des New Deal, der Bretton Woods Kooperation und in Westdeutschland des „Rheinischen Kapitalismus“ ging 1980 zu Ende. Die neoliberale Gegenreformation hatte sich durchgesetzt. In Westdeutschland mit Rücksicht auf das Schaufenster zur DDR erst nach der „Wiedervereinigung“ genannten Rückeroberung. Die neoliberale Offensive hat die Arbeiterbewegung marginalisiert und die sozial-ökonomische Integration aufgekündigt. In dieser kapitalistischen Hoch-Phase galt der totalitäre Anspruch „There ist no Alternative“.

Diese neoliberale Offensive bedeutete so etwas wie die direkte Machtergreifung des Finanzkapitals mit der zentralen Forderung einer signifikanten Steigerung der Profitrate, dem „Share-Holder-Value“. Dieser Orientierung auf den hohen kurzfristigen Profit des Finanzkapitals wurden die gesamten Gesellschaften des „Westens“, und nach 1991 des gesamten Globus, und zwar sowohl materiell als auch ideologisch unterworfen. Ein totalitäreres Programm ist kaum vorstellbar.

Nach der Jahrhundertwende ist die neoliberale Offensive allerdings in eine existentielle Krise geraten. Seither haben drei akute Krisenausbrüche die kapitalistischen Hauptstaaten erschüttert. Die arbeitenden Klassen und Schichten sind in großen Teilen enteignet, verarmt und ins „Prekariat“ herabgedrückt worden. Die Sozial- und Bildungs-Systeme, die Infrastruktur und die öffentliche Daseinsvorsorge sind strukturell unterausgestattet immer mehr dem Verfall preisgegeben.

Da nach der Niederlage des Sozialismus die zentrale Aufgabe des Reformismus, die Niederhaltung des Kommunismus, entfallen war, stand und steht der Reformismus vor einer Identitätskrise. Ehemals reformistische Führer wie Gerhard Schröder und Tony Blair versuchten aus dieser Not eine Tugend zu machen und sich als Bestattungsunternehmer in eigener Sache anzudienen, in dem sie sich als Sturmgeschütz des Neoliberalismus so ziemlich alle Errungenschaften der Arbeiterbewegung seit dem I.WK zerstörten.

Damit war die große neoliberale Einheitsfront aller im Bundestag vertretenen Parteien entstanden und der Protest gegen die nun geschaffenen Verhältnisse hatte keine Adresse mehr. Das internationale Finanzkapital, insbesondere das deutsche, fürchtet ganz sicher keine proletarische Revolution. Eine, von einer mächtigen, ideologisch geschlossenen, organisatorisch gefestigten und zentral geführten Massenorganisation vorgetragene System-Alternative, ist heute nicht das Problem. Und das verändert auch den Inhalt und die Formen, in denen sich heute Rechtsentwicklung und Faschisierung darstellt.

Heute wird der Protest, oder auch der Scheinprotest gegen die neoliberale Zurichtung und Formierung vor allem von rechten und rechtspopulistischen Organisationen vorgetragen. Diese Lage eröffnet neue Möglichkeiten und Notwendigkeiten für die Rechtsentwicklung aber auch für die politisch-ideologischen Integrations-Strategien. Das Hauptproblem des heutigen Kapitalismus ist, wie sich im Krisenzyklus zeigt, die Dysfunktionalität des Systems selbst. Der Kapitalismus ist nicht in der Lage elementare gesundheitspolitische, infrastrukturelle, soziale und ökonomische Basisfunktionen zu garantieren.

Die politische Kritik von Rechts dagegen, stellt den Kapitalismus nicht in Frage, nicht einmal seine neoliberale Verwertungsform. Aber sie ist ein Störfaktor mit Eskalationspotential. Denn in Frage steht immer mehr die politische Zustimmung breiter Klassen und Schichten der arbeitenden Bevölkerung, welche durch die neoliberale Offensive massiv in ihren Lebensentwürfen und zu einem großen Teil substantiell in ihren materiellen Verhältnissen betroffen sind und die die Ruinierung der Infrastruktur, des Bildungswesen, der Sozial- und Alterssicherung, der öffentlichen Daseinsvorsorge und der Umwelt nicht einfach hinzunehmen bereit sind. Immer mehr Menschen halten das politische Angebot und das dieses Angebot vertretende, politische Personal, ist für wenig geeignet eine Besserung der Lage herbei zu führen.

Die immer schwerer zu lösende Haupt-Aufgabe heute ist die Durchsetzung des „TINA“-Imperativs. Die Verankerung der Vorstellung, dass es keine Alternative zur gegenwärtigen aggressiven Außen-Politik und der neoliberalen sozial-ökonomischen Formierung gibt. Die mit immer massiveren Mitteln einer weitgehend gleichgeschalteten Propaganda und eines nahezu general-ermächtigten Repressions-Apparates durchgesetzte politisch-ideologische Formierung hat in der rechten und rechtspopulistischen Kritik ein geeignetes Vehikel gefunden, Kritik ganz generell zu delegitimieren.

Die rechte Kritik ist aufgrund ihrer sozialen Basis strukturell bürgerlich, besser kleinbürgerlich borniert. Da schenken sich die „Rebellen“ von Donald Trump bis Alice Weidel wenig. Ihre strukturell reaktionären, bis rassistischen Argumentationslinien eignen sich besonders gut, um die Kritik ganz generell zu delegitimieren und das neoliberale Programm als weltoffen, liberal und modern zu charakterisieren.

Es gibt natürlich weitere Instrumentarien. Wie sich beispielsweise im Schau-Prozess gegen Julien Assange zeigt. Hier soll die journalistische Tätigkeit eines Nichtamerikaners, der man dazu keine Fehlinformation nachweisen kann, und die nicht auf US-Boden geschah, nach dem US-Espionage Act von 1917, aus der Zeit der ersten anti-kommunistischen Hexenjagd, hier soll Julien Assange zu 175 Jahre Knast verurteilt werden.

Die Publizierung von US-Kriegsverbrechen soll als krimineller Act gebrandmarkt werden. Und die Kartell-Medien, auch die deutschen, auch jene, die Assanges Informationen veröffentlicht hatten, schweigen zu diesem Prozess und machen mit bei dieser extremen Form der Selbstkastrierung. Was heute Assange passiert, kann in Zukunft jeden, auch in Deutschland, treffen.

Nicht die etablierte „Sicherheits“-Politik, sondern die rechtspopulistischen Kräfte werden nun – auch in der Herrschaftspropaganda – als die neue faschistische Gefahr charakterisiert; eine Propagandafigur an deren Ausschmückung sich vor allem die öffentlich-rechtlichen Medien an vorderster Front beteiligen, und die zum regierungsamtlichen „Antifaschismus“ und Pro-Zionismus passt, mit dem die Akzeptanz der Führungsmacht Deutschland in Europa erreicht wurde.

Dieser regierungsamtliche „Antifaschismus“ bietet darüber hinaus den Vorteil die reale innere Repression und Faschisierung, die Deutschland, sowie auch die übrigen kapitalistischen Hauptstaaten zu klandestinen Überwachungs- und Polizei-Staaten verwandelt hat, noch weiter aus dem gesellschaftlichen Fokus zu rücken, als es ohnehin der Fall war.

Die Aufrüstung der inneren Repression ist mehr als 50 Jahre alt. Hier eine unvollständige Liste der wesentlichen juristischen Stationen des juristischen Aufrüstungsprozesses. Die GG-relevanten Teile weitgehend unbeachtet: Die Notstandsgesetzen 1968, die Anti-Terror-Gesetze 1976, 2002, 2007 und 2016, das BND-Gesetz 1990 und 2016, die Rasterfahndung 1992, die Schleierfahndung 1995, der „Große Lauschangriff“ 1998 und 2005, das Brief, Post und Fernmeldegesetz 2001, die „Otto-Kataloge“ I und II 2001, die Änderung der Strafprozessordnung 2002, die Telekommunikations-Überwachungsverordnung 2002 und 2013, der biometrische Reisepass 2005, die Anti-Terror-Datei 2006 und 2015, das Telemedien-Gesetz 2007, die Speicherung der Fingerabdrücke im Reisepass 2007, die Vorratsdatenspeicherung 2008, 2015 und 2017, das BKA- und das Europol-Gesetz 2009, das Verfassungsschutzgesetz 2012 und 2015, die „Rechtsextremismus-Datei“ 2012, das IT-Sicherheitsgesetz 2015, das Videoüberwachungsgesetz 2017, die Ausweitung des „Maßregelrechts“ 2017, die NetzDG 2017, die Polizei-Gesetze 2018.

Die Kartell-Parteien haben unter der Parole „Verteidigung des Rechtsstaates“ die Verkehrung der antifaschistisch-demokratischen Nachkriegsordnung in ihr komplettes Gegenteil betrieben, einschließlich Rundumüberwachung, Cyberattacken, Außerkraftsetzung der Unschuldsvermutung, Bürgerkriegspolizei, Vorbeugehaft und Sicherungsverwahrung u.v.a.m.

Diese Aufrüstung der inneren Repression ist nicht durch Kräfte wie die AfD ins Werk gesetzt worden. Organisationen wie die AfD sind objektiv die neoliberale Auffanglinie für Menschen, die vom herrschenden Politik-Angebot enttäuscht, eine Alternative innerhalb des Kapitalismus suchen. Sie bieten gleichzeitig aber den Vorteil als proto-faschistische oder sogar faschistische Projektionsfläche der Herrschafts-Propaganda die fiktive Gefahr einer Art Widergeburt der NSDAP suggerieren zu können.

Diese zunehmend abstrakte Gefahrenbeschreibung, die all das außer Acht lässt, was in den letzten 50 Jahren an innerer Formierung passiert ist, hat große Strahlkraft unter den nach der Niederlage des Sozialismus und der neoliberalen Wende des Reformismus orientierungslos gewordenen Rest-Linken, den anti-faschistischen, demokratischen, bürgerlich-emanzipativen und LGTB-bewegten Kräfte entfaltet. Ihre weitgehende Integration in das Herrschaftsnarrativ birgt die Gefahr, dass auch sie, sozusagen unter der Hand, zu Stützen der etablierten Ordnung und der neoliberalen Offensive funktionalisiert werden.

Proteste gegen die asozialen Verhältnisse und die obszöne Reichen-Bereicherung werden immer mehr in die Nähe zu faschistischen Organisationen gerückt. Von „Querfront“ ist denunziatorisch die Rede. Dieser regierungsamtliche „Antifaschismus“ ist in der Krise zu einer der Hauptintegrations-Theoreme der neoliberalen Offensive geworden. Diese verengende Fixierung hat den Großen „Vorteil“, dass sowohl die Protagonisten der neoliberalen Verwüstungen, als auch die Wegbereiter der schleichenden Faschisierung nicht nur aus dem Fokus geraten, sondern auch noch als Kämpfer für Demokratie und Liberalität geadelt werden.

Es ist diese, hier zwangsläufig nur sehr grob angerissene, komplizierte Lage, die m.E. in der BZ aufzuzeigen wäre. Die Autoren der BZ haben sich eine „lebhafte Diskussion“ erhofft. Vielleicht kann dieser Text ein Beitrag dazu sein.

Klaus Wagener

 

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