Klassenkampf ist kein Freizeit-Hobby

Klassenkampf ist kein Freizeit-Hobby

40 Jahre SDAJ

 

Die Gründung der Sozialistischen Deutschen Arbeiterjugend fällt in eine Zeit, in der unsere westdeutsche Gesellschaft ihre Klassengesellschaft ja ziemlich offen zur Schau stellt. Eine Klassengesellschaft aber ist, sobald sie hinlänglich Bewusstsein von sich selbst erlangt, eine Klassenkampfgesellschaft.

Daraus folgt, dass eine sozialistische Organisation – hier bei uns – sich allen Ernstes vor allem als eine Kampforganisation verstehen muss.

Wenn ich sage “allen Ernstes”, dann meine ich damit, dass die jetzt hier organisierten trotz ihrer Jugend von Anfang an werden lernen müssen, auf Romantik und auf naive Totalität zu verzichten. Klassenkampf ist nämlich kein Freizeithobby und auch kein buntes Abenteuer, sondern Klassenkampf ist, wenn ich die Sache richtig verstehe, der Existenzkampf von der ganzen Gesellschaft.

Das möge sich jeder, der heute hier einer sozialistischen Organisation zustimmt jetzt einmal klarmachen. Denn die politische Kraft einer sozialistischen Organisation hängt immer wieder entscheidend ab vom kenntnisreichen und disziplinierten Klassenbewusstsein jedes einzelnen Genossen.

Was auf Leute zukommt, die hier einen Fortschritt – das heißt Sozialismus – machen wollen, das ist ganz bestimmt keine Spielerei. Der Klassengegner hat Gesetze, mit denen er uns klar und legal niederschlagen kann, bereits im Schrank, und auch die Partei, die das Niederschlagen besorgen soll, baut sich schon auf. Eine Schlägermannschaft, die nach altem Muster bereit ist, die Massen vor dem Fortschritt, die Herrschenden vor dem Rücktritt, die Demokratie vor den Demokraten zu schützen.

Als Sozialisten sollten wir vor der Realität nicht die Augen verschließen, unser Gegner weiß sehr genau, was er will. Das heißt, er kennt seine Kräfte.

Das sind Kräfte seiner Klasse.

In diesem Punkt können wir vielleicht ein bisschen von ihm lernen. Denn ohne definiertes Klasseninteresse, ohne neu definiertes, aus der jetzt hier gegebenen gesellschaftlichen Situation neu definiertes Klasseninteresse keine brauchbare politische Perspektive, ohne brauchbare politische Perspektive keine adäquate, d. h. massenhafte Organisation, ohne breite Organisation, ohne hart und klar definierte Solidarität zwischen Arbeiterklasse und der Intelligenz, zwischen Hochschule und Betrieb, kein wirksamer Kampf gegen den Klassengegner.

Sowie der Zusammenhang erkannt wird, und wo diese Kenntnis dann organisiert eingesetzt wird, da wird der Gegner schließlich seine Kraft verlieren, da wird es in der Demokratie endlich auch bei uns – vorwärts gehen.

Demokratie ist für viele schon fast ein verschlissenes Wort. In den Reden von Kiesinger, Springer und Thadden geht dieser Begriff ja auch schon tatsächlich fast vor die Hunde. Aber das soll uns nicht irremachen, wir wissen was wir meinen, wenn wir von Demokratie reden.

Und wir werden lernen, lernen müssen, auch anderen begreiflich zu machen, was hinter dem Wort steckt: es ist die Hoffnung des Menschen auf Selbstermächtigung, auf Fortschritt und auf vernünftiges Glück. Sofern wir Sozialisten sind, d. h., sofern wir unser Denken, unser Handeln aus den gegebenen Realitäten heraus entwickeln, wird uns niemand diese Hoffnung ausreden können, auch nicht verbieten können.

Dass man uns tatsächlich möglicherweise schon demnächst illegal nennen wird, das sollte niemanden von uns wundern, auch nicht ängstigen. Was von oben her illegal aussieht, das muss von unten her, also objektiv, durchaus noch nicht illegal sein.

Legal ist immer das, was die objektiven Interessen der Massen, die Hoffnungen des Menschen auf Fortschritt und Frieden und Selbstbewusstsein durchsetzt.

Und durchaus illegal ist demgegenüber die Gewalt von Wenigen über Viele, die Verdummung des Menschen zum Zwecke seiner ausnutzbaren Entmündigung, die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen.

Das steht übrigens auch schon im Grundgesetz der Deutschen Bundesrepublik, z. B. in dem einfachen Eingangssatz, der heißt: “Die Würde des Menschen ist unantastbar.” Bisher haben wir dieses Gesetz nur geachtet, von nun an werden wir es beim Wort nehmen, und angesichts der Maßnahmen des Gegners heißt das, wir werden kämpfen, und zwar entschlossen und unbedingt organisiert.

Wenn wir uns immer wieder ganz unpathetisch und in aller Genauigkeit klar machen, dass wir die vernünftige Sache auf unserer Seite haben, dann werden wir auf die Dauer gar nicht zu schlagen sein.

(Rede des Schriftstellers Christian Geissler am 25. Mai 1968 auf der Gründungskonferenz des SDAJ-Landesverbandes Bayern in München)

 

← zurück